Biotope der Umgebung: da trifft mich doch die Keule ODER das Beste kommt zum Schluss ...

Es gibt 22 Antworten in diesem Thema, welches 5.932 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sebastian_RLP.

  • Hallo zusammen,


    war heute im Raum Neuwied in unterschiedlichen Biotopen unterwegs, welche mir gute Bedingungen für interessante Funde versprachen. Die erste Anlaufstelle sollte eigentlich eine Magerweide werden, aber Pustekuchen, die war komplett elektrisch eingezäunt (Spielverderber).


    Über den Zaun konnte ich immerhin auch dort wieder zahlreiche Fruchtkörper von Helvella acetabulum erspähen.


    Egal. Also weiter am Randgebiet entlang und in ein angrenzendes Waldstück. Hier gabs schon einmal einiges zu sehen. An einem Standort Calocybe gambosa und E.clypeatum auf einem Haufen.


    Auf dem Weg dann erweckte etwas rundes meine Aufmerksamkeit. Wachsen die Trüffel jetzt schon oberirdisch. Pustekuchen. Es handelt sich am Fuße einer Eiche um Gallen - Andricus quercusradicis


    Im Schnitt ein ganz übler gasartiger Geruch, puuh, hab ich direkt da gelassen.


    Weiter ging es zu einem angrenzenden großen naturnahen Eichen-Buchenmischwald an der Wied. Ein interessantes Biotop mit viel Feuchtigkeit. An einem extrem stark verrottendem Stamm eine Gyromitra? und dazwischen Schildborstlinge (vermutlich an verrottender Buche - muss wohl das Holz mikroskopieren, das war aber kompletter und alter Laubwald). Dachte erst wegen Laubholz an Gyromitra parma. Aber dazu passen die Sporen nicht:

    Sporen 17x9 ellipsoid, deutlich warzig ornamentiert, ohne Anhängsel, Operculum amyloid (siehe Bilder). Zerbreche mir morgen nochmals den Kopf.



    Die Schildborstlinge habe ich noch nicht mikroskopiert, mir ist jetzt etwas die Zeit davongallopiert. Ich denke aber, dass das Richtung Scutellina citrina gehen kann:


    Die kleinen Schwarzen dazwischen sind wohl noch etwas anderes. Auch die müssen noch unters Mikroskop. Zu denen habe ich gar keine Idee. Da war ganz schön was los auf diesem alten Stamm.


    Am Waldrand dann noch der Lederbraune Faserling (P.conopilus) und noch mehrere schöne Kollektionen aus der Parasola-Ecke:



    Dann ging es noch weiter auf eine alte Brachfläche mit jungen Zitterpappeln. Und hier sollte ich nochmal tolle Funde machen. Hier war einiges zu finden. Übliche Verdächtige wie Acrocybe praecox, verschiedene Risspilze, eine Russula (leider alt und sehr verblasst, deswegen kein Bestimmling) und massenhaft Lorcheln, welche ich als Helvella sulcata ansprechen würde.




    Mikroskopie der Risspilze folgt (habe 3 Arten auf der Pirsch entdeckt) ...


    Das Beste kam nun aber zum Schluss ...

    Ich traute meinen Augen kaum als ich etwas keuliges aus dem Moos ragen sah. Konnte es das sein, was ich dachte ...



    Das hatte ich doch schonmal in der Literatur gesehen. Nun aber vorsichtig mit dem Messer graben. Da sollte doch etwas am unteren Ende sein, wenn mich nicht alles täuscht. Ich wurde nicht enttäuscht: Ophiocordyceps gracilis:



    Damit hätte ich heut nun wirklich nicht gerechnet. Was habe ich mich gefreut ...


    Soo, nun aber erstmal genug. Morgen hänge ich sicher noch ein paar Mikrobilderchen an.


    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian


    Top Funde !


    Psathyrella conopilus ( Lederbrauner ) ? meinst du an Erste und Zweite Bild nach dem Scutellinia ( Schildborstlinge ) ? Ich meine das beide Pilze zu hell für P. conopilus sind


    LG

  • Hallo Sebastian,


    Gratulation zu den schönen Funden. Deine Helvella sulcata hätte ich auch so bestimmt, was aber nur gilt, wenn sie eine gültige Art ist.


    VG Jörg

  • Hallo Beli, danke dir ... wegen Conopilus, ich meine das die so ausblassen können. Habe ich bei der Art schon oft gesehen. Bei dem jungen Exemplar sieht man sehr schön die "lederbraune" Farbe. Habe die Psathyrellen jetzt aus Zeitgründen auch nicht unterm Mikro gehabt.


    Hallo Jörg, ja habe schon gelesen, dass da immer wieder der Artrang diskutiert wird. Ansonsten wäre es dann eine Grubenlorchel - Helvella lacunosa?


    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian, supertolle Funde! Die Helvellas und Schildborstlinge sind ja sowas von schön! Und die Kernkeule ist natürlich auch der Hammer, so leicht zu übersehen! bestimmt ein tolles Gefühl wenn man da eine Theorie hat, gräbt und dann wirklich findet was man vermutet.
    Inhaltlich kann ich nicht viel beitragen- wie groß war denn deine fragliche Gyromitra, bzw. wie dick das Fleisch? Ich frage mich ob es nicht auch eine Peziza sein könnte. Mit den den ungefärbt deutlich warzigen Sporen hätte ich dann eine Idee.. aber wahrscheinlich nur ein Hirngespinst weil ich gerade über einem hoffnungslosen Fall brüte.
    LG Ogni

  • Servus,

    Deine Peziza - nicht Gyromitra - könnte eine P. arvernensis sein, möchte mich aber hier nicht festlegen.

    Bei der Scutellinia kommen makroskopisch viele in Frage.

    Ohne Mikromerkmale - Sporenornamentation / Größe, Rand+Aussen - Haarlänge sowie Wurzeln besteht keine Hoffnung auf Art- Bestimmung.

    Grüße

    Felli

  • Hallo Sebastian,

    gibt es von dem Täubling ein Foto von der Hutoberseite, und hast du den Geschmack getestet? Dann lässt sich vielleicht doch was machen.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

  • Hallo zusammen,


    vielen Dank für eure zahlreichen Rückmeldungen. Ich habe in der Zwischenzeit noch etwas mikroskopiert. Fürs erste bin ich noch an den Ascos der Buche unterwegs gewesen.

    AAAAlso, Peziza avernensis, na ganz klar das passt sehr gut, habe gerade auch nochmals draufgeschaut, Sporen passen, auch das amyloide Operculum und die einfachen Paraphysen. Zudem dunnfleischig und ziemlich zerbrechlich (bei hoher Feuchtigkeit am Standort). Sehr gut. Ich schiebs mal auf die späte Stunde, dass ich da nicht eher hingekommen bin.


    Spannend nun der Schildborstling. Hier laufe ich mit den Schlüsseln (Trond Schumacher, Aus Opera Botanica 101 (1990), The genus Scutellinia; oder auch nach "European Key to the Genus Scutellinia" unter: AscomyceteOrg 11-06 297-308.pdf) leider immer wieder in unsichere Richtungen. Kein ganz einfaches Unterfangen.


    Also hier mal die Facts:


    Ascosporen ellipsoid 20x13µm, Sporenornament in Wasser auch bei tausendfach kaum zu erahnen (wirkt glattwandig), mit zahlreichen kleinen Öltröpfchen (wirkt wie ein Behälter für kleine Öltropfen - siehe Bilder). Erst in Baumwollblau (ohne und mit Erhitzung) Warzen gut zu erkennen, gratig verbunden ohne netzig zu sein (siehe Bilder). Unter Erwärmung in Baumwollblau Hülle stabil, Öltropfen verbinden sich zu einem großen Tropfen.

    Haare (Borsten) zwischen 550 und 900µm lang - vereinzelt aber auch über 1000µm (bestimmungsrelevant), mit geteilter (wurzelartiger Basis).

    Paraphysen einfach und orangerot.


    Ich lande am ehesten bei Scutellinia setosissima. Ich weiß nicht, ob es hier Spezialisten gibt für die Gattung, die könnten ja dann meinen Bestimmungsversuch mal kommentieren.



    Sporen in H2O bei 1000-fach:


    Sporen und Strukturen in Baumwollblau (1000-fach):


    Und erhitzt in BWB:



    Spannend weiterhin die kleinen schwarzen Fruchtkörper (die aussehen wie Ansammlungen von gestieltem Kaviar - siehe Eingangspost). Im Mikroskop äußerst interessant. Sporen (sub-)globos 11x10µm, sie wirken warzig, wenn nicht sogar eher stachelig. Total spannend das Capillitium (verwendet man diesen Begriff auch für diese Gattungen/Arten, also gemeint ist das Faden-/Hyphensystem im Sporenbehälter). Dieses zeigt eine kordelartige Struktur. Wirklich beeindruckend. Weitergebracht hat mich das jedoch nicht. Es wäre schonmal hilfreich, die Gattung zu erkennen ...



    Hallo Oehrling, wegen der Russula, ich habe sie nicht probiert, da diese schon wirklich in einem nicht mehr ganz appetitlichen Stadium war. Es gibt ein Bild von oben, da zeigt sich aber auch schon das ganze Dilemma, der Hut wirkt nahezu grau-weiß, aber es zeigen sich noch dezent-rötliche Anteile (siehe Hutmitte, ursprüngliche Farbe?). Der Stiel scheint nun etwas zu grauen.


    Ansonsten SPP IVa, Sporen ca. 9x6µm, deutlich gratig verbunden. In der Hutdeckschicht (Teil des rötlichen Überbleibsels) lassen sich in Kongorot/SDS Pileozystiden erahnen. Vielleicht kannst du ja anhand der Angaben noch etwas eingrenzen. Ich freue mich jedenfalls darauf, bald mal wieder frische Russula zu finden.



    Sporen in Melzer 1000fach


    Kongorot 400-fach



    Kongorot 1000-fach


    LG Sebastian

  • P.S.


    Guajak zeigt keine Reaktion am Stiel, verzögert (nach 15 sek) grünlich am Hutfleisch. Lamellen sehr verzögert nur schwach an der Schneide.

    FeSO4 keine Reaktion.


    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian,

    Deine kleinen schwarzen Fruchtkörper sind Myxomyceten, Schleimpilze.

    Anhand Deiner Mikroaufnahmen ist es mit großer Sicherheit - Metatrichia floriforme - ein Verwandter des Wespennestes (Metatrichia vesparium). Typisch für die Art ist das Capillitium mit Spiralleisten und den lang ausgezogenen, zugespitzten Enden.

    Das Capillitium von Metatrichia vesparium hat dagegen nur kurze Enden, aber die Spiralleisten sind dagegen bestachelt.


    LG Ulla

  • Hallo Ulla,


    das macht Sinn, auf den Makrobildern sind auch der Schleim und bei genauem Hinschauen auch die rötlichen Stielchen zu sehen. Die Mikromerkmale passen sehr gut. Toll. Vielen lieben Dank für deine Einordnung :daumen:...


    LG Sebastian

  • Servus Sebastian,

    Zur Scutellinia - das ist schwer, die Sporen haben ein deutliches Ornament das man im Lichtmikroskop auch als Solches erkennt. Deshalb würde ich deiner Bestimmung Scutellinia setosissima nicht zustimmen.

    ich sehe da ein Ornament aus niedrigen Graten/Linien, die sich teils zu einem unvollständigen Netz formieren.

    Nach den Schlüsseln Auszug:

    "Sporen ellipsoid, 16,5–23 × 11–13,5 μm (X = 18,5 × 12 μm) mit einem unregelmäßigem Retikulum, Warzen ± trunkat, oft auf Holz (Abb. 17) .................................. S. pennsylvanica


    Da der aber aus warmen Gegenden Amerikas bekannt ist, kann ich es mir nicht vorstellen dass es dieser Pilz ist.


    Ich denke es ist eher einer aus dem Scutellata - Komplex.


    Aber beschäfftigt sich nicht nobi mit Scutellinias?


    Grüße

    Felli

  • Servus Schupfnudel, danke für den Hinweis ... schaue ich mir bei Gelegenheit mal genauer an.


    Hallo Felli, du hast vollkommen recht ... ich bin fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Ornament in Wasser nicht sichtbar ist im Lichtmikroskop. Aber im Schlüssel steht ja klar auch in BWB bei 1200-fach nicht sichtbar. Dann passt das natürlich nicht. Wenn ich dann im Schlüssel weitergehe (Trond), lande ich bei Scutellina crinita. Habe gerade nochmals verschiedene Seiten besucht und auch einen Beitrag im EU-Forum gefunden: Scutellinia crinita vs. Scutellinia scutellata


    Wenn man mal von Vergleichen des Fundortes absieht passen die dort gezeigten Mikrobilder sehr gut zu dem hier gezeigten. Auch der Schlüssel führt mich dahin, wenn ich deinen Einwand beachte. Zu typischen Fundorten finde ich unterschiedliche (widersprüchliche?) Angaben. Vielleicht letztlich auch nicht wählerisch ...


    LG Sebastian

  • Hallo Schupfnudel,


    in dem Artikel findet sich jedenfalls definitiv Helvella sulcata. Zu den Mikromerkmalen findet man: "Ascospores ellipsoid, uniguttulate, 18.2–20.1–21.8 × 11.4–12.5–13.2 μm. Paraphyses 3–4 μm broad below, brown-walled, with brownish granular content, enlarged to 5–8 μm at the clavate tips"


    Paraphysen passen. Sporen sind uniguttulat, vielleicht mit 17-18µm x 13µm etwas knapp von der Länge her:



    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian!

    Ich weiß nicht, ob es hier Spezialisten gibt für die Gattung, die könnten ja dann meinen Bestimmungsversuch mal kommentieren.

    Nun, ich hatte mich vor einigen Jahren recht intensiv mit dieser interessanten Gattung beschäftigt.

    Für mein Bundesland Sachsen konnte ich immerhin 14 Species nachweisen!

    Ich denke es ist eher einer aus dem Scutellata - Komplex.

    Genau. Und dieser Komplex ist alles andere als einfach.

    Laut Benat Jeannerot sind 99% der als scutellata bestimmten Arten Scutellinia crinita.

    Scutellinia scutellata ist demnach eine eher seltene, mehr arktisch-alpine Art. (13.10.2014, Ascofrance)

    Laut Mykis stehen in Sachsen 527 scutellata-Funden lediglich 46 crinita-Funde gegenüber.

    Daran sieht man, dass jahrelang viele Scutellinia-Arten unkritisch als Scutellinia scutellata benannt wurden.

    Mich würde interessieren, wieviele Arten sich tatsächlich hinter diesen 527 Funden verstecken.;)


    Also, Dein Fund sollte Scutellinia crinita sein, wie Du ja letztlich selbst festgestellt hast.


    Mit der Monografie von Trond Schumacher und dem Schlüssel von Benat hat man übrigens recht brauchbare Werkzeuge zur Hand!

    Hinzu kommen natürlich noch diverse Fachartikel.


    LG, Nobi

    Hier geht es zu meinen Themen.

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    Chips: 72

  • Servus Claus,


    Danke und schön von dir zu lesen. Ähm naja, der Täubling stand mitten auf einer Brachlandschaft. Ausgewachsene Bäume waren da gar nicht zu finden, sondern nur ganz junge von vielleicht einem, max anderthalb Metern. Gut möglich das da zwischen den Pionierbäumen auch eine ganz junge, kleine Birke stand. Beobachtet habe ich vorwiegend Pappeln (auch nur Strauchhöhe). Ausgewachsene Birken standen vom Fundort etwa 20m entfernt am Rand des Geländes.


    LG Sebastian

  • Hallo Nobi,


    Danke für deine Einschätzung und die sehr interessanten hintergründigen Ausführungen zu deinen Erfahrungen und den Hinweisen von Benat.

    Ich kann mir gut vorstellen, daß sich da oft vorschnell festgelegt wird.

    Dann freue ich mich, mit eurer Hilfe gut durch den Schlüssel und die bestimmungsrelevanten Merkmale navigiert zu sein. War immerhin ein Erstfund für mich und das erste Mal, dass ich mich überhaupt mit der Gattung befasst habe.


    LG Sebastian

  • Hallo Claus,

    denkst du an Russula exalbicans? Das hielte ich für eine gute Idee. Die ausgesprochen obovoidalen (= "langgezogenen") Sporen in der angegebenen Größe und die Pileozystiden passen recht gut, ebenso wie Guajak schwach. Laut SARNARI sollte das Spp 3b sein, aber das ist ja ziemlich dicht an Sebastians Angabe 4a dran.

    Blöd, dass die Geschmacksangabe fehlt. Wäre der Geschmack schärflich, wäre mMn R. exalbicans ziemlich wahrscheinlich.

    R. exalbicans ist unter den Täublingen auch tendenziell früh im Jahr dran.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

  • Na, wenn schon zwei Leutchen unabhängig voneinander die gleiche Idee haben, stimmt es meistens.

    Ich wünsche dir für dieses Jahr wieder viel Spaß mit den Täublingen. Dieses Jahr müssen wir uns mal treffen, irgendwo zwischen Rhön und Hohenlohe.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

  • Hallo zusammen,


    bin nun noch zum Mikroskopieren des Risspilzes gekommen. Sollte Inocybe lacera sein, der "Struppige" bzw. "Gurkensporige" Risspilz. Typisch lange und zugleich schmale Sporen: 13(vereinzelt bis 16)x5µm. Dünnwandige Cheilozystiden sollte auch passen, Pleuros nicht angeschaut:



    Cheilos:


    LG Sebastian