Wutzi:
Was du vermutlich meinst, ist medizinische Forschung. Und ja, in Krebsforschung und in Stammzellenforschung wird sehr viel Geld gesteckt.
Mein persönliches Credo: wir brauchen mehr Grundlagenforschung. Unsere heutige Technik basiert auf der Grundlagenforschung des Endes des 19. Jhdts. und des (oft Beginns) des 20. Jhdts. Wenn wir nur auf möglichst schnelle Amortisierung des Kapitals schauen, bleiben wir irgendwann stehen. Heutige Grundlagenforschung ebnet zukünftigen Generationen den Weg. Und wer weiß, vielleicht klappt es doch mal mit der Kernfusion...
Hallo Christoph,
ich versuch's noch mal. Mein erster Satz war, dass es mir nicht um das Ob, sondern um das Wie in der Grundlagenforschung geht. Ich hatte allerdings versäumt zu erklären, dass es das Beharren auf Tierversuchen in der Grundlagenforschung ist, was mich umtreibt. Es verschlingt mehr und mehr Ressourcen. Dabei ist es weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit gelungen, Ersatzmethoden zu den Tierversuchen zu entwickeln.
Warum eigentlich sollen Tiermodelle auch in der Zukunft das Nonplusultra bleiben? Tiermodelle sind ungenau und versagen in zahllosen Fällen. Ich nehme mal zwei Beispiele aus der Anwendung: Die Alzheimerforschung hat trotz dreißigjähriger Forschung an der Maus gar keine Fortschritte gebracht, ebenso wie die Pneumonieforschung. In beiden Fällen gibt es inzwischen aber Ergebnisse an Modellen mit menschlichen Zellen, die optimistisch stimmen. Die Maus ist kein Minimensch, die genetischen Übereinstimmungen liegen im Promillebereich. Grund genug, über neue Wege nachzudenken, finde ich.
Wir wissen nur ansatzweise, wozu Pilze in der Lage sind und wir wissen schon heute, dass es erfolgreiche Computermodelle, mathematische und andere Modelle gibt um Prozesse zu modulieren. Die Erforschung neuer Methoden ist nur möglich, wenn man Geld in die Hand nimmt und vorurteilsfrei Neues ausprobiert. Das darf durchaus verrückt erscheinen, finde ich. Vor dem Hintergrund, was wir über die Fähigkeiten von Schleimpilzen wissen und vor allem vor dem, was wir nicht wissen, warum also nicht an Pilzen forschen? Forscher die Neues gewagt haben, erschienen ihrer Umgebung immer verrückt. Waren sie erfolgreich nannte man das genial.
Ich nehme mal das Handy als Beispiel. Wie hättest du vor 30 Jahren reagiert, wenn ich dir gesagt, dass du mit einem kleinen Kästchen telefonieren, Musik hören, Nachrichten versenden und deine Heizung steuern kannst? Du hättest vermutlich gesagt, träum weiter und gedacht, die spinnt doch. Das Handy gibt es nur, weil sich Heerscharen von Wissenschaftlern mit Unsummen Geldes seiner Entwicklung gewidmet haben.
Ich zitiere mal aus einem Schreiben von Prof. Lauster - von der TU Berlin von 2014. Er leitet die Abteilung für Medizinische Biotechnologie:
"Es gibt eine Reihe humaner Erkrankungen, die von hoher klinischer Bedeutung sind. Dazu gibt es Mausstämme oder Rattenstämme, die einige Charakteristika dieser Erkrankungen zeigen, wo die wissenschaftlichen Erkenntnisse bislang kaum oder gar nicht auf den Menschen übertragbar waren. ... Ganze Arbeitsgruppen haben sich auf die Studien an diesen Tieren verlegt und die wissenschaftliche Reputation darauf aufgebaut. Neue Ergebnisse lassen sich relativ leicht veröffentlichen, da die Beurteilung immer aus der „Community“ selbst kommt. Auf der Basis der Veröffentlichungen lassen sich neue Projekte einwerben, das System ist in gewisser Weise selbsterhaltend, hat den Bezug zur menschlichen Erkrankung aus dem Fokus verloren, sich ganz der Grundlagenforschung an den speziellen Tieren verschrieben. Für einen Wissenschaftler, der einmal in so einer Sackgasse gelandet ist, ist es sehr schwer, da wieder raus zu kommen. Er (oder sie) hat ja die Karriere darauf aufgebaut und hat nicht die Zeit, sich in ein anderes Gebiet einzufinden. Der Vertrag ist in der Regel zeitlich eng befristet (und thematisch vorgegeben) und da ist es nachvollziehbar, dass man auf dem Pfad bleibt, der den Lebensunterhalt sichert. Die wissenschaftliche Kompetenz ist durch die Publikationen belegt und die Basis für jede Folgebeschäftigung damit erreicht.“
Das Geld was in solche selbst erhaltende Systeme fließt ist aus meiner Sicht herausgeworfenes Geld, weil der Erkenntnisgewinn nicht im Verhältnis steht zu dem Förderungsaufwand. Hier muss umgesteuert werden.
Eine Maus ist ein Wirbeltier. Ebenso wie Hund, Katze oder Pferd dürfen einer Maus ohne Grund weder Leiden, Schmerzen noch Ängste zugefügt werden. So jedenfalls das Tierschutzgesetz. Jetzt bin ich mal ganz fies: Stell dir vor, wie es deinem Hund gehen würde, wenn er für Tierversuche Stufe 2 oder 3 eingesetzt werden sollte. Unvorstellbar!
Das Leiden der namenlosen Labortiere ist abstrakt ist. Für mich ist es kein Betriebsunfall, dass der Tierschutz im Grundgesetz steht. Ich finde, nach 20 Jahren sollten da endlich Taten folgen.
Wir beharren auf archaischen Forschungsmethoden, wir zu bequem sind, neu zu denken und andere Wege zu gehen. Ich bin keine militante Tierschützerin und ich will Tierversuche nicht von jetzt auf gleich verbieten. Aber ich will, dass wir so bald wie möglich davon wegkommen und das ist eben nur möglich, wenn man Neues wagt. Denn klar ist auch, dass wir heute noch nicht darauf verzichten können. Die aktuelle Begründung hast du ja beschrieben.
Ich lerne jeden Tag etwas Neues über Pilze und bin fasziniert davon, wozu sie in der Lage sind. Sie waren der Ursprung unseres Lebens und sie sind allgegenwärtig. Sie werden ganz sicher einen Beitrag für das (Über)Leben auf diesem Planeten in der Zukunft spielen. Ich gebe zu, manchmal geht meine Phantasie mit mir durch, aber ich bin ganz sicher, dass das "Wissen" und die Fähigkeiten der Pilze noch für etliche Überraschungen gut sein werden.