Hallo zusammen
Wir haben hier das gleiche Problem mit unserem Verbreitungsatlas.
Der Begriff "Erstnachweis" funktioniert nur, wenn man das auf eine (oder sehr wenige) klar definierte, umfassende und breit etablierte Datenbanken beschränkt, und auf den Stand in dieser Datenbank zum Zeitpunkt der Recherche.
Natürlich lässt sich nicht ausschliessen, dass schon vor 150 Jahren jemand ein Herbar der Art angelegt hat, aber die Art falsch bestimmt und falsch angeschrieben hat.
Ich habe "Erstnachweise" kartiert, von denen ich ganz genau weiss, dass ein Kollege die Art schon früher gefunden hat, aber er hat sie halt nicht kartiert.
Hinzu kommt das Splitting von Arten und etablierte Fehlinterpretationen.
Viele "Erstnachweise" wurden schon früher kartiert, aber unter dem Aggregatsnamen, weil zum damaligen Zeitpunkt die neue Art gar nicht beschrieben war. Mein kürzlicher "Erstnachweis" von Volvariella neoparvula ist eigentlich Schwachsinn, weil vermutlich jeder den Pilz schon in der Hand hatte, aber ihn halt Volvariella murinella oder V. pusilla genannt hat.
Oder ein anderes Beispiel:
Der häufige "Hygrophorus erubescens" ist eine jahrzehntealte Fehlinterpretation von Rhodocollybia maculata (Papetti et al. 2020).
Jetzt heisst die Art Hygrophorus neoerubescens. Der Name ist im Verbreitungsatlas noch gar nicht drin, obwohl er vor 5 Jahren publiziert wurde!
Wenn ich jetzt meinen Schneckling (korrekterweise) unter diesem Namen kartiere - ist das ein Erstfund?
Eine Absicherung ist mit Sequenz ideal, aber es sind ja längst nicht alle Typus-Belege sequenziert!
Von vielen (älteren) Arten gibt es zudem keinen physischen Typusbeleg, da müsste erst jemand einen Neotypus festlegen.
Mehr als eine morphologische Übereinstimmung geht dann halt nicht.
Aber ein Foto alleine reicht schon nicht, es braucht mindestens eine vollständige makro- und mikroskopische Dokumentation.
Wenn man dann eine Statistik darüber erstellen möchte, muss man die Datenerhebung klar definieren/abgrenzen und in der Einleitung dokumentieren.
Dann ist die Aussage über "Erstnachweise" im definieren Kontext auch korrekt.
Natürlich kann man seine Statistik damit ein wenig frisieren. Aber solange man die Datenerhebung und die Kriterien für den Begriff "Erstnachweis" transparent definiert hat, halte ich das für kein grosses Problem.
Langfristig ist das ganze wenig wert. Vielleicht wird die Erstfund-Art wieder verworfen, nochmal gesplittet, oder es taucht ein älterer Fund auf.
Oder irgendwer sequenziert später den Typus, und die morphologische Bestimmung erweist sich als falsch.
Wer überprüft schon all seine Funde der letzten Jahrzehnte, ob wirklich immernoch alles der neusten Literatur entspricht?
Mal ehrlich - ist das langfristig wirklich so wichtig, wer der erste war?
Natürlich macht es im ersten Moment Freude, aber ich würde der ganzen Sache nicht zu viel Bedeutung geben.
LG Raphael