Gibt es Kreuzungen / Bastardisierungen bei Pilzen?

Es gibt 14 Antworten in diesem Thema, welches 4.185 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Svampskogen.

  • Guten Abend,
    bei höheren Pflanzen sind Bastardisierungen und Kreuzungen nahe verwandter Arten nichts Ungewöhnliches, zumindest bei den Gefäßpflanzen. Ab den Farnen und Schachtelhalmen gibt es das. Bei Moosen habe ich noch nichts davon gehört. Bei höheren Tieren kenne ich es nur von Maultier / Maulesel.


    Wie ist das bei Pilzen? Was ist da anders?


    Viele Grüße
    Lothar

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Lothar!


    Da gegenseitige Infertilität eines der wichtigsten Merkmale zur Artabgrenzung ist (viele Arten werden auch nur auf dieser Basis getrennt), gehe ich mal davon aus, daß es nicht möglich ist.



    LG, pablo.

  • Hallo Pablo,
    so einfach ist es nicht: bei den Pflanzenbestimmungsbüchern steht am Ende der Gattungsschlüssel in der Regel eine Liste der bekannten Bastarde. Ob diese auch fertil sein können, weiß ich nicht. Im Schlüssel selbst tauchen sie nicht auf, vermutlich weil die Merkmale der beiden Arten in den Nachkommen unterschiedlich verteilt sind.


    In der Praxis wird der Vermehrungsversuch zur Artabgrenzung soweit ich weiß eher selten unternommen.


    Nun ist bei Pflanzen vieles komplizierter und damit auch möglich, z.B. weil viele Arten (auch) mehr als ein Chromosomenpaar haben (können) = Polyploidie.


    Viele Grüße
    Lothar

  • Hallo Lothar,
    interessante Frage finde ich.
    In der Natur ist während der Evulotion viel passiert, aber ich glaube
    Pilze sind da nicht mit Hunden vergleichbar.


    Bei Pflanzen z.b. wird viel vom Menschen manipuliert, sprich gekreuzt.


    Ich lese aber immer wieder von ZUCHTFORMEN , Austernseitlinge, die im Sommer wachsen


    Dan hatten wir --> DIESES THEMA


    Schopftintlinge vom Pilzbruthändler die wochenlang als Baby rumstehen
    ( normal schwuppt sowas in wenigen Tagen zu Tinte )


    Dann gibt es gezüchtete Samtfussrüblinge, die sehen auch nicht wirklich so aus, wie das was ich so darunter verstehe.
    Angeblich werden da jährlich hunderte Tonnen gezüchtet.


    Das waren jetzt die "normalen" Pilze.


    In der Industrie werden Schimmelpilze gezüchtet:


    Blauschimmel + andere für Käse etc.


    Dann gibt es noch die Aromaindustrie ( Duft- Geschmacksaromen )
    welche sich Schimmelpilzen bedient.


    Ich vermute: Sobald kommerzielles Interesse besteht, da geht die Manipulation los. Ob nun genetisch oder durch sonstwas.
    Unmöglich halte ich es nicht, sobald Mensch eingreift.

  • Hallo Lothar,


    die Zuchtformen entstehen durch Auslese. Eine Kreuzung im eigentlichen Sinne ist nicht möglich da die Sporen ja schon fertige Keimträger sind. Es findet also keine geschlechtliche Vermehrung außerhalb des Fruchtkörpers (wie z.B. bei höheren Pflanzen/Tieren) statt.


    Grüße
    Josch

  • Guten Morgen,
    ich dachte bei dem Thema nicht an menschliche Eingriffe, sondern an natürliche Vorkommen.
    Beispiele:
    - Ufer-Schachtelhalm (Equisetum ×litorale) ist ein Bastard aus Teichschachtelhalm (Equisetum fluviatile) und Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense). Er kann dort vorkommen, wo beide Eltern-Arten vorhanden sind, alles ohne menschlichen Eingriff. Da sich die Art auch durch Ausläufer ausbreitet und längerlebig ist, kann sie noch vorhanden sein, wenn die Elternarten verschwunden sind.


    - Mittleres Hexenkraut (Circaea x intermedia): "Bastard aus C. lutetiana und C. alpina. Kommt fast ausschließlich zumindest mit einem Elternteil vor".


    Wenn ich es richtig verstehe ist es bei Ständerpilzen und Schlauchpilzen so, dass sich Fruchtkörper bilden, wenn die geeigneten Hyphentypen zusammenkommen. Im weiteren, komplizierten Verlauf bis zur Sporenbilden werden, wenn ich es richtig verstehe, ebenfalls genetische Informationen ausgetauscht.


    Auch bei den Pflanzen bastardisieren nicht alle Arten mit nahe verwandten, aber doch erstaunlich viele, in einigen Gattungen ist das häufiger als bei anderen. Warum sollen nahe verwandet Pilzhyphen nicht auch Bastarde bilden können?


    Es kann natürlich sein, dass dann die entstehenden Sporen nicht keimen. Vielleicht ist es aber auch prinzipiell unmöglich? Das würde ich gerne wissen. Damit auch: wenn mehrere Arten sehr ähnlich sind, können da Bastarde darunter sein?


    Klar, für die Bestimmungspraxis ist das ohne Bedeutung, das ist bei mir reine Neugier.


    Der züchterische Aspekt ist natürlich auch interessant, aber da geht es meistens um die Herausbildung von Rassen / Formen innerhalb einer Art.


    Viele Grüße
    Lothar

  • Die Natur findet einen Weg.



    Zwar weiß ich nicht was da aktuell und wissentschaftlich zu zu sagen wäre aber rein vom Überlegen her würde ich annehmen daß Pilze sich auch auf solche Weise weiterzuentwickeln trachten.
    Alle Lebensformen wollen sich weiterentwickeln, besser werden, es sich einfacher machen, sie mutieren auch immer mal wieder, experimentieren auf diese Weise.
    Bei Pilzen wissen wir zudem daß sie Symbiosen eingehen, andere Lebensformen ausrauben und übervorteilen oder gar auffressen. Da hat Pilz also einem Trieb nachgegeben seine Existenz zu sichern und zu vereinfachen.
    Warum also nicht auch versuchen, mit anderen Pilzen gemeinsam solche Vorteile zu bekommen. Auf friedlichem Wege möglichst. Wenn man durch eine Vereinigung das Leben einfacher gestalten kann ?!


    Ich würde mal vermuten daß so etwas irgendwo unter der Erde zwischen den Myzelien schon stattgefunden haben könnte. Wenn man sich begegnet kann man sich ja bekämpfen, sich aus dem Weg gehen oder "handeln". Und beim handeln müssen eben auch Wege erfunden/entdeckt werden. Dabei, denke ich mir, kann so etwas passieren. Theoretisch jedenfalls. Und alles was theoretisch möglich ist wird auch praktisch irgendwann mal probiert.


    Bei den Fruchtkörpern müßte man das aber gar nicht bemerken müssen. Die haben ja ihre Funktion und wahrscheinlich kann die so bleiben. Nebenwirkungen sind aber nicht auszuschließen.
    Wer weiß, mache Varietät oder forma oder nur mittels Genanalyse zu trennende Arten könnte vielleicht so entstanden sein.


    So viel aus Dr. Frankensteins Science Fiction.

  • Einige Pilzforscher haben behauptet, dass im hochalpinen Nadelwald Suillus grevillei und Suillus viscidus bastardieren würden - mit dem Ergebnis, dass dort Misch- und Übergangsformen (z. B. Fruchtkörper mit gelbem Fleisch, gelbem Stielvelum und grauen Röhren) durcheinander mit den "Reinformen" wachsen würden. Ich kann nur gerade die Quelle nicht angeben.

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()

  • Hallo Oehrling,


    das hört sich ja sehr interessant an, viel. findest du die Quelle ja noch würde mich wirklich sehr interessieren. Weißt du noch ob es sich um Makro/Mikroskopische Untersuchungen handelte oder evtl. sogar um genetische?


    Grüße
    Josch

  • Interessante Frage, zu deren Lösung ich nichts beitragen kann.
    Außer vielleicht der Beobachtung, dass es bei Hypholoma capnoides
    gelegentlich zu sehr großen Fruchtkörpern kommen kann, die keine Sporen ausbilden. Die Lamellen bleiben dann reinweiß.


    Ob das eine bastardisierung ist, oder ob andere Einflüsse stattfinden, weiß ich nicht zu sagen.

  • Hallo,


    um diese Frage eingehender zu betrachten, bedarf es diverser biologischer / biochemischer Grundlagen und einiges an Hintergrundwissen zu Artbildung, Artkonzept und Genetik.


    Artbildung greift z.b. auf allopatrische Weise in Form von Isoloation / Separation auf Lebewesen derart ein, dass diese voneinander getrennt werden und sich sodann aufgrund ihrer unterschiedlichen Entwicklung, die von biotischen und abiotischen Faktoren verursacht werden, zu verschiedenen Arten aufgespalten werden (= adaptive Radiation).
    Beispiel: Darwin-Finken auf den Galapagos-Inseln.
    Hier vermutet man, dass ein "Urfink" vom südamerikanischen Festland getrennt wurde und sich auf den Inseln dann 14 verschiedene Arten entwickelt haben, die mittels verschiedener Selektionsfaktoren an ihre Umwelt angepasst wurden (z.B. Körnerfresser mit größeren Schnäbeln, Weichfresser mit kleineren Schnäbeln).
    Die Finken der Galapagosinseln sind durchweg verschieden von denen des Festlandes. Durch sexuelle Selektion erkennen sich die Individuen nicht mehr (Männchen eines Mittelgrundfinks [Galapagos] kann ein Grundfink-Weibchen [Südamerika] nicht mehr erkennen) und es kommt zu einer Reproduktionsbarriere.


    Vermutlich gestaltet sich das bei den Hyphen von Pilzen ähnlich. Damit Fruchtkörper entstehen, müssen zunächst zwei verschiedenartige Myzelien Plasmogamie betreiben (Zellverschmelzung zur Haploidie). Hyphen unterschiedlicher Arten erkennen sich anscheinend aber nicht und laufen aneinander vorbei (= evtl. Konkurrenz, siehe Maserungen im Holz zur eindeutigen Abgrenzung der "Pilzreviere" [s. Tintlingsbericht, müsste ich aber raussuchen, in welchem Tintling das war]). Also findet auch hier so eine Reproduktionsbarriere statt und es kann nicht zu einer Bastardisierung kommen.


    Solche Reproduktionsbarrieren tauchen jedoch nur bei lang isolierten Individuen auf. Im Falle der Gelbbauch- und Rotbauchunken z.B. ist es nach unzureichend langer Isolation zweier Stämme dazu gekommen, dass sie beim erneuten Aufeinandertreffen Hybride gebildet haben. Ein solcher Fall ist bei Pilzen nicht auszuschließen, aber für uns möglicherweise kaum erkennbar. Die uns bekannten Arten sind durchaus insbesondere genetischer Untersuchungen auch wirkliche "Arten", deren korrekte taxonomische Stellung häufig unzureichend bekannt ist und durch Stammbaumanalyse und Sequenzierung der ITS-Region geklärt werden muss.


    Das von Ralf angeführte Beispiel ist eine Mutation, die zur Sterilität der Fruchtkörper führt. Deren Ursache kann sehr vielfältig sein.


    lg björn

    Projekt Fungi: 3277

    [FERTIG] Band 1a: 440 Pyrenomyceten mit 0-1fach sept. Sporen; Band 1b: 380 Pyrenomyceten mit 2-M.

    Band 2a: Pezizomycetes, Hypogäische Eurotiomycetes, Lecanoromycetes, Arthoniomycetes

    Band 2b: Leotiomycetes, Geoglossomycetes, Taphrinomycetes, Laboulbeniales, Orbiliomycetes

    Band 3: Rindenpilze, Heterobasidiomycetes, Cyphelloide Pilze
    Schwarzwälder Pilzlehrschau

    Einmal editiert, zuletzt von bwergen ()


  • viel. findest du die Quelle ja noch würde mich wirklich sehr interessieren. Weißt du noch ob es sich um Makro/Mikroskopische Untersuchungen handelte oder evtl. sogar um genetische?


    Viel mehr als die These geht aus dem mir Verfügbaren (Großpilze BW, Band 2, bei der Art Suillus viscidus) nicht hervor. G. J. Krieglsteiner gibt dort folgende Quelle an, welche wiederum auch nur "GERHOLD 1987" zitiert: H. ENGEL, Schmier- und Filzröhrlinge s. l. in Europa, Weidhausen 1996. Jetzt musst du also Detektiv spielen.

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()


  • ...Warum also nicht auch versuchen, mit anderen Pilzen gemeinsam solche Vorteile zu bekommen. Auf friedlichem Wege möglichst. ...Ich würde mal vermuten daß so etwas irgendwo unter der Erde zwischen den Myzelien schon stattgefunden haben könnte. Wenn man sich begegnet kann man sich ja bekämpfen, sich aus dem Weg gehen oder "handeln". Und beim handeln müssen eben auch Wege erfunden/entdeckt werden. ...


    buten un binnen - wagen un winnen
    So spricht der Hanseat! :thumbup::thumbup::thumbup: Klasse! :cool:;)

    Schönen Gruß,
    Hans aus Bremen
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    "Es gibt Gottsucher, Ichsucher und Schwammerlsucher" (G. Polt)



  • Die wissenschaftliche Meinung war lange, dass Hybridisierungen unter Pilzen nicht möglich ist.
    Für Leccinum melaneum wird aktuell jedoch ein hybridogener Ursprung angenommen. Seine ITS-Sequenz enthält Abschnitte von L. holopus und L. scabrum!
    Auch bei Flammulina velutipes und Hebeloma crustuliniforme sollen Hybridisierungen vorgekommen sein.


    Gruss Jonas