Gültige Taxonomie

Es gibt 15 Antworten in diesem Thema, welches 3.695 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von FlotteLotte.

  • LiebeLeute,
    Winterzeit=Theoriezeit.


    Ich wollte mir gerade mal einige taxonomische Neuigkeiten heraussuchen. Da ist mir aufgefallen, dass ich gar nicht weiß, wo ich die gültige Taxonomie finde.
    Was bringt mir Index fungorum, was die Mykobank? Ist beides nicht der richtige "Ansprechpartner"?
    In der Mykobank ist mir aufgefallen, dass es für den Aprikosenfarbenden Röhrling (=Xerocomus armeniacus so im Horak, aber dem glaube ich sowieso nicht), den so als gültigen Namen auch in der Mykobank finde. Suche ich dann im Index fungorum, finde ich zusätzlich Rheubarbariboletus armeniacus. Diesen Namen wiederum in die Mykobank eingegeben, ist der dann auch wiederum gültig.
    Sind das dann zwei verschiedene Pilzarten oder zwei nebeneinander gültige Bezeichnungen, oder ...?


    Vielen Dank im Voraus für die Erleuchtung.


    Lotte

  • Hallo Lotte,


    in der Ö. Pilzdatenbank ist er mit Rheubarbaribioleteus armeniacus drinnen.


    Index Fungorum & Mykodata bekommen Daten von links und rechts geliefert, I.F. ist aktuell, die Myko wird nachziehen.


    Meine bescheidene Meinung, erleuchten werden dich die Profis in unserem Form,


    LG
    Peter

    "Die, die Kriege von oben führen sind feige Schreibtischtäter, die nicht wissen wie schrecklich Krieg ist".

    Quelle: "Masters Of War", Bob Dylan

    Einmal editiert, zuletzt von Habicht (†) ()


  • Hallo Lotte,


    mycobank und indexfungorum werden von echten Menschen gepflegt, und die sind leider nicht unfehlbar, sondern denen passieren auch Fehler.


    Dazu bleibt ein Interpretationsspielraum, ob man denn jede neu aufgestellte Gattung wirklich gleich übernehmen muss, oder ob man die Argumente für eher schwach hält. Leider grassiert im Moment die Spalterei, und viele folgen dieser Mode.


    Eine "harte" Definition für eine Gattung existiert nicht, man kann einen beliebigen Verzweigungsknoten des Baumes dazu ernennen. Nimmt man Knoten weiter oben, entstehen viele kleine Gattungen (z.B. Rheubarbariboletus) , nimmt man einen weiter unten, entsteht eine große Gattung (z.B. Cortinarius, Entoloma). Was allerdings nicht passieren darf, wenn zwei Zweige denselben Gattungsnamen haben, höhere (spätere) Abzweigungen aber einen anderen. Dann ist die Gattung "polyphyletisch", also nicht einheitlich. Da muss man dann aufräumen, wie z.B. bei den Wiesenkeulen.


    Einen solchen Nutzen der Aufspaltung erkenne ich persönlich bei Xerocomus nicht. Von daher kann man die Mode auch ignorieren und Xerocomus als gültige Gattung beibehalten. Man sollte sich aber schon entscheiden, welchen Weg man geht, und einen der beiden Namen in die Synonymie des anderen geben.


    Gruß,


    Wolfgang

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Lotte!


    Ganz allgemein kann ich mich der Erklärung von Wolfgang anschließen. :thumbup:
    Taxonomie ist ein stets im Wandel befindliches, wissenschaftliches Themengebiet. So wiee eisch unser Wissen / unsere Beobachtungen zu einzelnen Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten verändert (es wird ja stets weiter geforscht), so ändert sich auch die Taxonomie.
    Die beiden genannten datenbanken erfassen ja weltweite Publikationen, versuchen also global alle beschriebenen Taxa und derren Veränderungen zu erfassen. Das kann aber nicht funktionieren, jedenfalls nicht in der Hinsicht, daß sie einen einheitlichen und gültigen Status Quo zur aktuellen Taaxonomie abbilden könnten.
    Diese Datenbanken sind wichtig, um Publikationen (= wissenschaftlich fundierte Einschätzungen) zu speziellen Themengebieten zu verfolgen. Also um zB einen Überblick aller weltweit in einer Gattung beschriebenen Taxa zu erhalten. Wen ich mich dann mit dieser Artengruppe speziell befassen will, dann brauche ich aausgehend von dieser Taxlist die jeweils dort gelisteten Beschreibungen und Artikel zu Originaldiagnosen, Umkombinationen usw. Im wissenschaftichen Sinne muss man sich dann auf diesen Publikationen basierend ein eigenes Bild machen.


    Am Beispiel von Rheubarbariboletus: Es ist also Ermessenssache, welcher Gattungsdiaagnose man folgt. Das setzt das Studium der entsprechenden Veröffentlichungen voraus. Die genetische Erfassung ist dabei meiner Ansicht nach zB nicht so eindeutig, wie sie gerne hingestellt wird, jedenfalls solange es nur die Abweichungen in der ITS - Sequenz betrifft. Hat sich vielfach zur Arttrennung bewährt, wird aber in vielen Bereichen sehr schwammig, wenn es darum geht, Gattungen oder gar Familien zu definieren (Stichwort: Rickenellaceae!).


    Da sollte mans ich nicht drauf verlassen, daß soclhe Gattungs- und Familiendefinitionen, basierend auf ITS - Sequenzen in +/- 10 Jahren noch haltbar sind, wenn nach und nach weitere Sequenzen zusätzlich beobachtet werden. Auch die Morphologie darf man dabei nie vernachlässigen, sonst landet man mitunter in ziemlich diffusen Sackgassen.


    Das bedeutet aber, wenn man sich diese Problematik mal anguckt, daß es im Grunde völlig unmöglich ist, sich selbst ein belastbares Bild zur Taxonomie und Nomeklatur der gesamten Funga zu machen. Das geht punktuell nur da, wo man sich auf einzelne Gattungen und Gattungsgruppen spezialisiert, und da kaann man dann solider einschätzen, ob eine Gattungskombination sinnvoll ist oder nicht.


    Wenn es darum geht, ein möglichst verlässliches System / datenbank zu finden, wo man eine einigermaßen sichere, aktuelle und fundierte Taxonomie ablesen kann, ist es am besten, sich an nationale Datenbanken zu halten, wo viel weniger Taxa gepflegt werden müssen und durcch die Aktivität einzelner Spezialisten die meisten Gattungen relativ sicher taxiert werden.


    Und da wäre man dann - siehe Peters Beispiel - zB bei der Austriadata - Datenbank, oder - bezogen auf Deutschland: Bei Mykos bzw. >PD<.



    LG, Pablo.

  • Vielen Dank, das hilft dann schon mal weiter - und macht die Sache dennoch komplizierter.


    Am ordentlichsten wäre es demnach, sich die Orginalartikel zu nehmen, deren Begründungen für diese oder jene Einordnung durchzulesen und dann sich seine eigene Meinung bilden. Wobei ich dann ja sogar Sequenzdaten gegenüber den "sichtbaren tatsächlichen" Eigenschaften abwägen müsste - zum Beispiel für einen Schlüssel.


    Pilze sind ganz schön kompliziert...
    Lotte

    • Offizieller Beitrag

    Hi.


    Bei solchen "Veröffentlichungen" wie der oben verlinkten ist halt noch die Frage, ob man das überhaupt als "valid" anerkennen kann. ;)
    Ich meine, daß dahinter ja auch ein gewisses regelwerk steckt, so zB für einen gewissen Rahmen und Aufbau, der eingehalten werden muss. Aber so tief stecke ich da nicht drin um beurteilen zu können, ob das so ganz ohne Print in einem anerkannten Fachorgan, ohne Einhaltung der normalen Gliederung (Abstract, Indroduction, Materials & Methods, Discussion, References) und vollständige Präsentation der ergebnisse auch irgendwie gültig ist.



    Lg, Pablo.

  • Hallo,


    Soweit ich das sehe, ist es eine gültige Beschreibung. Bis auf eben den schon obig monierten Verweis auf nicht veröffentlichte Unterlagen.


    Hier als Übersicht der Wiki-Link zur Thematik der Erstbeschreibung:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Erstbeschreibung



    Und hier noch der Link zum Phylogramm, auf das die Beschreibung Bezug nimmt. Damit man sich selber ein "Bild" machen kann...



    Schon die nur zwei verwendeten X. armeniacus Sequenzen sind sich nicht ganz ähnlich und nur die eine (die könnte ja auch noch fehlbestimmt sein) von X. persicolor finde ich etwas dürftig von der Datenlage her. Man müsste jetzt noch in der Genbank nachschauen, von was und wem die Sequenzen kommen, aber eigentlich hätte ich da in der Veröffentlichung etwas von lesen wollen.


    Ich bleibe bis auf weiteres jedenfalls auch skeptisch, ob die ITS Regionen alleine aussagekräftig genug für eine solche Aufspaltung sind, zumal es genug andere Xerocomusarten mit glatten Sporen gibt.


    LG, Jens

  • Liebe Taxonomisten,


    mir ging es um das Prinzip. Den Xerocomus armeniacus (oder wie auch immer) diente mir als Beispiel. Ich wollte wissen, wo ich die aktuellste/gültige Version herbekomme. Der fiel mir auf, da er total unklar daherkam.
    Für die Viren gibt es das International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV), die sich um genau solche Belange kümmert. Und was da an Spezies (richtiger: Quasipezies) nicht durchgelaufen ist, ist keine. Ebenso Genera und Familien.
    So etwas scheint es bei den Pilzen dann nicht zu geben. Schade, das macht die Sache für mich ziemlich aufwändig, falls ich da tiefer einsteigen wollte. Ob ich das möchte, habe ich noch nicht entschieden :/



    Print oder nicht, ist egal. Entscheidend ist, ob der Artikel im "peer review" war, also durch Fachgutachter vor der Publikation begutachtet wurde. Aber auch hier sollte man besser nicht alles glauben. Es gibt heute einige sehr angesehene Journale, die nur online publizieren.


    Beste Grüße
    Lotte

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Jens & Lotte!


    Jau, so mit Bäumchen sieht das schon etwas solider aus.
    Allerdings darf das nach wie vor kritisch beurteilt werden. Da bin ich übrigens ganz der gleichen meinung: Vor allem, wenn hier nur die ITS - Sequenzen beobachtet werden, kann man daraus nicht unbedingt auch eine solide systematische Position ableiten, auch wenn es - in vielen Bereichen - ganz tauglich sein mag, um unterschiedliche Arten zu identifizieren.


    Wie das mit dem "Peer Review" bei mykologischen Veröffentlichungen läuft, das habe ich auch noch nicht ganz durchschaut.
    Sicherlich gibt es da auch Instanzen, allerdings wäre dann auch kritisch zu bewerten, ob auch eine ausreichende spezifische Fachkenntnis dahinter steckt. Anders ausgedrückt: Wie will ein Gremium, bestehend aus Fachleuten, die sich quasi ausschließlich mit Phytoparasiten oder noch besser: Hefen beschäftigen eigentlich beurteilen, was für eine Publikation zu irgendwelchen Boletales relevant ist?
    Die Betrachtungstechniken sind in diesen Bereichen völlig unterschiedlich, und um noch mal den Punkt der eher mageren Sequenzausbeute (siehe obiges Phylogramm) aufzugreifen: Was bringen 20 Boletus - s.l. - Sequenzen ohne familienspezifische, morphologische Dokumentation?
    Das ist dann auch ein Problem mit den bestehenden Gendatenbanken: Was Pilze betrifft, sind da mit sicherheit eine ganze Menge falsche (bzw. falsch taxierte) Sequenzen drin. da muss man also auch noch mal höllisch aufpassen, wenn man dort Sequenzen für Bäumchen abgreift, daß man auch nur solche nimmt, die auch belastbar (also auch morphologisch einwandfrei) sind.
    Und in dem Moment wäre man schon an dem Punkt, wo ein nicht fachkundiges Kotrollgremium gar keine Kontrollmöglichkeit mehr hätte. Weil woher wollen die Wissen, ob die als "Leucoagaricus wichanskyi" beschriftete Sequenz tatsächlich zu dieser Art gehört...



    LG; Pablo.


  • Weil woher wollen die Wissen, ob die als "Leucoagaricus wichanskyi" beschriftete Sequenz tatsächlich zu dieser Art gehört...


    Hallo Pablo und Lotte,


    Genau! Es müssten also für eine echte Neubeschreibung auch die heute möglichen oder zumindest in der Gattung als notwendig erachteten Sequenzen des Holotypus mit erzeugt und mit veröffentlicht (und hinterlegt) werden. Und es müßten eigentlich für obigen Fall die Sequenzen der hinterlegten Typus benutzt werden. Vielleicht haben sie das ja? Damit wäre es dann eindeutiger. Aber ohne das die Autoren uns darüber informieren, bleibt deren Gattungskonzept für mich auf wackeligem Boden.


    Lotte:
    Die neuen Namen kann man übernehmen oder eben nicht. Wenn du irgendwo Xerocomus armeniacus verwendest, wir jeder wissen, welche Art du meinst. Ob du den vielleicht schon morgen nicht mehr aktuellen Namen Rheubarbariboletus armeniacus verwendest, bleibt also dir überlassen. Ich habe auch lange gedacht, das IF und Mycobank die aktuelle Taxonomie wiedergeben. In Wirklichkeit geben sie gerade in jüngster Zeit wohl häufig das Geltungsbedürfnis des einen oder anderen "Taxonomisten" wieder. Nach dem Motto: Hauptsache mein Name ist da auffindbar!
    Taxonomie ist ja eine Einordnung der Arten in ein künstliches System, um das Große und Ganze besser beschreiben zu können und Arten (also Populationen ähnlicher Individuen) von anderen Arten so zu trennen, dass man diese Trennung in verschiedene Arten reproduzieren kann und die Trennung eine sinnvolle Anwendbarkeit für die Zukunft bringt.
    Ob es da jetzt in der Taxonomie besser wird, wenn wir/du Vizzazini & Co. folgen, wird dann die Zeit zeigen.


    LG, Jens


  • H
    Wie das mit dem "Peer Review" bei mykologischen Veröffentlichungen läuft, das habe ich auch noch nicht ganz durchschaut.
    Sicherlich gibt es da auch Instanzen, allerdings wäre dann auch kritisch zu bewerten, ob auch eine ausreichende spezifische Fachkenntnis dahinter steckt. Anders ausgedrückt: Wie will ein Gremium, bestehend aus Fachleuten, die sich quasi ausschließlich mit Phytoparasiten oder noch besser: Hefen beschäftigen eigentlich beurteilen, was für eine Publikation zu irgendwelchen Boletales relevant ist?


    LG; Pablo.


    Hallo Pablo,
    das wird bei den Mykologen auch nicht anders laufen als sonst. Die Editoren einer Zeitschrift reichen das Manuskript an die Leute weiter, die schon Ähnliches veröffentlicht haben. Bei einigen Zeitschriften darf man die Gutachter vorschlagen bwz. auch vorweg ablehnen (wenn es zum Beispiel eine direkte Konkurrenz ist). LEtztendlich sind die Gutachter aber anonym. Die sagen dann, ob sie sich in der Lage fühlen, das Manuskript (sie bekommen ein abstract) zu beurteilen oder nicht. Meistens sind das zwei. Wenn beide sagen gut, dann publiziert, wenn einer ja und einer nein, dann bekommt es ein dritter, oder der Editor (das editorial board) entscheidet auch schon mal selber in die eine oder andere Richtung.
    Natürlich ist auch hier keine Garantie, dass die Publikation wasserdicht ist. Aber es ist schon eine gewisse Qualität meistens vorhanden.
    Beste Grüße Lotte

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Lotte!


    Könnte man ja mal zumindest bei den deutschen mykologischen Fachorganen nachfragen (Zeitschrift für Mykologie, Mycologica Bavaria, Boletus, ...) wie das bei denen funktioniert. Soweit ich weiß, sind Veröffentlichungen dort auch von taxonomischer Relevanz.



    LG; Pablo.


  • Jau, so mit Bäumchen sieht das schon etwas solider aus. Allerdings darf das nach wie vor kritisch beurteilt werden. Da bin ich übrigens ganz der gleichen meinung: Vor allem, wenn hier nur die ITS - Sequenzen beobachtet werden, kann man daraus nicht unbedingt auch eine solide systematische Position ableiten, auch wenn es - in vielen Bereichen - ganz tauglich sein mag, um unterschiedliche Arten zu identifizieren.


    Hm, dass sie so hübsch anschaulich und "wissenschaftlich" wirken, ist m.E. gerade ein Problem an diesen Baumdarstellungen. Wie instabil so ein Baum ist, wenn man genetisch relativ weit entfernte Arten (< 80% Übereinstimmung) darstellt, habe ich selbst bei meinen ersten Schritten im letzten Jahr erfahren und auch später von jemanden bestätigt bekommen, der sich sehr gut damit auskennt, aber weder namentlich genannt noch zitiert werden wollte.


    Zwischen UDB002284 (X. subtomentosus) und UDB000944 (B. edulis) im von Jens verlinkten Diagramm beträgt die Ähnlichkeit um die 65% (Needleman-Wunsch mit verschiedenen Parametern).
    :/


    Ich denke inzwischen, der Vergleich der ITS-Sequenzen hat seine großen Stärken, wenn es darum geht, nah verwandte Arten zu vergleichen bzw. die Verhältnisse innerhalb einer Art oder Artengruppe zu klären (also eher so, wie ihr es mit euren braunen Ritterlingen vorhabt, Pablo).


    Das ist allerdings hinsichtlich der ursprünglichen Frage etwas off topic. Entschuldige, Lotte.


    LG, Craterelle