Telamonie geknackt

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 3.226 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Schwammer-Dieter.

  • Hallo Pilzfreunde,

    Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diese tolle Telamonie welche ich einst hier zeigte:
    Bericht vom 16.09.2015: Risspilze und mehr... - Berichte von Exkursionen und Ausflügen - Pilzforum.eu

    Wie versprochen untersuchte ich den Pilz im Laufe der Zeit, doch ich kam nicht weiter.
    Nun ist er endlich geknackt, und ich zeige Euch gern das Ergebnis:

    Fundnummer: 2015-09-16-1723

    Morphologische Daten:

    Fundort: ca. 550 müNN. ca. N50, O12, auf Rasen bei Birke, Linde, Vogelkirsche, Ahorn
    Fundzeit: 16.09.2015
    Wuchsform: büschelig
    Hutform:
    glockig
    Huthaut: orangebraun, nach außen hin heller werdend, radialfaserig
    Hygrophanität: ja
    Hutrand: mit hellbrauner Cortina
    Lamellen: orangebraun, mit Zwischenlamellen
    Lamellenschneiden:
    normal

    Lamellen - Stielübergang:
    fast gerade
    angewachsen
    Fleisch: orangebraun
    Stiel: weiß bis braun, braun befasert, mit weißem Ring, innen voll
    Stielbasis: rund, weiß
    Größe:
    Hutdurchmesser ca. 1,5-4 cm; Stiellänge ca. 4-8 cm, Stieldurchmesser ca. 8-14 mm
    Sporenpulverfarbe:
    Pantone 1675U = ██████
    Geruch: nicht mehlig, pilzig, leicht muffig
    Geschmack: nicht probiert
    Exsikkat-Farben: Hut: dunkel-orange-braun, Stiel: grau, Lamellen: dunkel-orange-braun, Fleisch: ocker

    Mikroskopische Daten:
    Sporen:
    ellipsoid bis obovoid, deutlich warzig, kaum dextrinoid
    (5.6) 5.9 - 7 (7.8) x (4) 4.4 - 5 (5.6) µm
    Q = (1.2) 1.3 - 1.5 (1.6) ; N = 82
    V = (53) 61 - 89 (126) µm ³
    Me = 6.4 x 4.6 µm ; Qe = 1.4 ; Ve = 73 µm ³
    mush-11998.jpg


    HDS:
    langgestreckte, blasige Zellen, teilweise mit aufgeblasenen Enden, Schnallen vorhanden
    mush-11999.jpg


    Das Problem bei diesem Pilz ist dass er sich quasi nicht schlüsseln lässt. Versucht man trotzdem sein Glück landet man mit FN in mehreren Sackgassen.
    Unter anderem landet man mit FN bei Cortinarius hinnuleus. Der kann es aber nicht sein, wegen dem Geruch, und anderen Abweichungen.
    Es war also eine Sequenzierung nötig. Als molekularphylogenetische Marker wählte ich die ITS-Region, da hiervon die meisten Vergleichssequenzen vorliegen.
    Die genomische DNA wurde aus getrockneten Fruchtkörpern extrahiert. Die Amplifikation der ITS-Region wurde mit dem ITS4 Primer durchgeführt. Die Nukleotid-Sequenzen für die Berechnung des Phylogramms wurden aus NCBI und Unite entnommen.
    Es gab ein interessantes Ergebnis:
    mush-12904.gif

    Ein Ergebnis aus FN war in der näheren Auswahl: Cortinarius hinnuleus. Aber FN bildet z. B. C. helvolus und C. badioflavidus nicht ab.
    Allerdings war eindeutig klar, dass hier eine Verwechslung in den Datenbanken vorhanden ist.
    Es gibt nämlich 2 Äste bzw. Deutungen von Cortinarius hinnuleus (siehe Phylogramm).
    Das Problem war nun herauszufinden, welche der Deutungen die richtige ist.
    Nach einer aufwändigeren Recherche fand ich heraus dass DQ117926 die Sequenz des Pilzes ist welcher in Cortinarius Flora Photographica - Abbildung A19 als Cortinarius hinnuleus beschrieben ist.
    Dies ist jedoch sehr sicher falsch - Grund:
    Die Studie "A framework for a phylogenetic classification in the genus Cortinarius (Basidiomycota, Agaricales) derived from morphological and molecular data" von Sigisfredo Garnica, Michael Weiss, Bernhard Oertel und Franz Oberwinkler aus dem Jahr 2005 untersuchte unter anderem die 2 Taxa genetisch und trennt sie auf (siehe dort Seite 1470). AY669665 und AY669667 sind eben diese Sequenzen - welche ich natürlich in mein Phylogramm mit übernahm. Da mein Fund mit nur 0,17% Abweichung AY669667 gleicht, und ebenso der erdige Geruch fehlt war die Sache klar. Es handelt sich um den Stumpfhütigen Wasserkopf (Cortinarius helvolus). Die etwas zu kleinen Sporen sind ebenso ein Hinweis darauf.
     

    Ich freue mich Euch diesen tollen Fund nun mit Namen nennen zu können - der Stumpfhütige Wasserkopf (Cortinarius helvolus):
    mush-09494.jpg


    mush-09496.jpg

    Beste Grüße
    Dieter

  • Hallo Dieter,


    das hat bestimmt eine Menge Arbeit gemacht und ich gratuliere dir zur erfolgreichen Bestimmung :thumbup: . Da ich von der ganzen Sache nur Bahnhof verstehe bleibe ich lieber bei einfacheren Gattungen :D .


    VG Jörg

  • Hallo Dieter,


    ich bin beeindruckt!
    Besonders auch darüber, dass du deine Methoden mit aufführst. So sollte es immer sein. Erst recht, wenn neue Arten beschrieben werden. Gut, dass ist jetzt hier nicht der Fall, aber wenn das eine neue Art wäre, dann würde jetzt nur noch deine Genbank Nummer fehlen und es wäre eine fast perfekte Vorstellung.
    Unten bei der Sequenzierung gibst du deine Methoden mit an. Warum nicht auch bei den Sporenwerten? So muß man leider raten...


    VG, Jens

  • Hallo Dieter,


    das Ergebnis passt gut zu meiner Vorstellung von C. helvolus, da bin ich sehr froh drüber. Dann kann ich also offenbar bei meinem Konzept dieser Art bleiben *freu*


    Wichtig in dieser Guppe ist aber auch die KOH-Reaktion im Fleisch, die bei einigen Arten (kurz) violett ist. Darauf solltest Du in Zukunft bei Funden aus der hinnuleus-Verwandtschaft achten und gleich frisch trsten. Man muss aber schnell hinschauen, den der violette Farbton wird in Sekundenschnelle schwarz.


    Die hinnuleus-Gruppe insgesamt ist an der Kombination folgender Merkmale zu erkennen:
    - einheitlich orangeocker-rostfarbene Fruchtkörper
    - relativ fleischige Telamonien
    - Entwässerung radial statt zentrifugal (!)
    - relativ reichliches Velum (meistens)
    - eher entfernte dickliche Lamellen
    - oft mit schwarzen Striemen und Flecken im Hut beim Älter werden


    beste Grüße,
    Andreas

  • Danke Andreas,
    den Tipp werd ich mir gleich abspeichern.
    Zum Fundzeitpunkt wusste ich noch nichts von den Chemischen Reaktionen, da ich da gerade mal "Cortinarius" erkannte ;)
    Inzwischen hab ich eine ToDo Liste für Cortinarius mit der Aufnahme aller morphologischen Daten und chemischen Reaktionen.
    Da gibt es ja ne menge zu tun bei der Datenaufnahme.
    In Funden ab 2017 ist dies alle mit dabei...


    Ein Frage noch: "Entwässerung radial statt zentrifugal (!)" --> meinst Du damit dass das Hygrophanisieren ringförmig auftaucht anstatt in zentrifugalen streifen? Wenn nein, was genau ist das?
    Beste Grüße
    Dieter


  • Hallo Dieter,


    umgekehrt - radial bedeutet in Streifen, während zentrifugal in kreisförmigen RIngen bedeutet.
    Die Hinnulei entwässern längsstreifig, die meisten anderen Telamonien ringförmig


    beste Grüße,
    Andreas