Servus zusammen,
nach
längerer unfreiwilliger Pilz-Pause habe ich mir letzte Woche ein
paar alte Brennnesselstängel näher angeschaut. Zwar habe ich keine
der beiden erhofften Trichopeziza-Arten finden können, aber davon
abgesehen an nur einer Hand voll Stängel eine doch recht vielfältige
Pilzgemeinschaft. Viele dieser Arten sind ausgesprochen häufig,
werden aber anscheinend eher selten beachtet. Dazu möchte ich hier
mal einen Anstoß geben.
I) Beginnen
möchte ich mit einem der häufigsten Pilze an Urtica namens
Calloria neglecta bzw. seiner Anamorphe Cylindrocolla
urticae. Man kann sie oft schon aus der Ferne identifizieren
da sie gerne an noch stehenden Stängeln in luftiger Höhe die
Stielrinde rasig überziehen und damit einen orangenen Farbeindruck
hervorrufen. Die Teleomorphe ist dabei etwas dunkler orange gefärbt,
während die Anamorphe hell leuchtend orange imponiert; die Größe
der Fruchtkörper ist dabei ähnlich.
Calloria neglecta



Asci u. Sporen (11) 11.8 - 14.2 (14.4) × (3.3) 3.4 - 4.1 (4.3) µm Q = (3.2) 3.23 - 3.87 (3.9) ; N = 12

Exc.

Para.
Cylindrocolla urticae



Konidiophoren mit abschnürenden Sporen
II) Vermutlich
etwa ebenso häufig ist Leptosphaeria acuta, ein
aufgrund seiner charakteristischen Form* ebenfalls bereits im Feld
anzusprechender Pilz.
Zwar gibt es noch weiter(e) Leptosphaeria Arten
an Urtica, diese besitzen aber nicht die typische Spitze (acuta).
Hier ist zu beachten, dass sie sowohl auf, als auch unter der
äußersten Stielrinde vorkommen können und dann nur die Spitze
hervorschaut.
*die Form
erinnert mich an „Granatsplitter“- ein Gebäck, das es in einer
Bäckerei nahe meiner Schule für wenige Pfennig gab, aber mit Glück
unter der Kuvertüre eine Kirschtorte versteckte- es wurde nämlich
aus den in der Konditorei anfallenden Kuchen oder Tortenresten
angefertigt und mit Schokolade übergossen. Meist gab es daher immer
nur 1-2 Granatsplitter und natürlich nur nach Tagen an denen Torten
gebacken wurden. Entsprechend musste man schon Glück haben einen zu
erstehen. Bei Erfolg war eine weitere Nahrungsaufnahme an diesem Tag
dann aber nicht mehr nötig.


III) Ein
Hingucker ist Acrospermum compressum.
Diese kleinen Flachkeulchen sind überraschend
stabil, ja fast gummiartig und stehen wieder auf wenn man sie
umstreicht. Die fadenförmigen Sporen sind mit um 400µm extrem lang.





IV) Torula
herbarum fällt durch seine
pulverigen schwarzbraunen Beläge auf verrottenden Pflanzenstängeln auf. Die
massive Konidiosporenproduktion hinterlässt auf den Fingern im Nu
einen rußigen Abdruck. Die Sporen erinnern mich an die
Newton-Kugel-Pendel die man in den 90ern gerne auf Schreibtischen
nicht nur von Behördenmitarbeitern fand.


(11.6) 16 - 21.9 (22) × (4.4) 4.7 - 5.9 (6.4) µm Q = (2.1) 2.8 - 4.1 (4.6) ; N = 16
V) Einen
glatten tiefschwarzen Belag verursacht Apomelasmia urticae an Brennnesselstängeln. Ob die von mir in einem Kratzpräparat
gefundenen Asci (?) zur Teleomorphe gehören oder zu einem ganz
anderen Pilz konnte ich nicht herausfinden. Diese Art muss ich mir
nochmal genauer anschauen um das zu klären.


(17.7) 18 - 20.1 (20.8) × (3.6) 3.7 - 4.2 (4.3) µm Q = (4.2) 4.4 - 5.2 (5.8) ; N = 15

VI) Mykosphaerella
superflua erscheint als kleine
schwarze Perithecien in der Stielrinde vorjähriger Brennnesseln.
Möglicherweise handelt es sich um die
Teleomorphe eines Phytoparasiten namens Ramularia urtica, der im Sommer Brennnesselblätter befällt.
Die einfach Septierten Sporen maß ich
kleiner als in der Literatur angegeben, ich denke jedoch dass das an
der Unreife des untersuchten FK liegen könnte.



(11.7) 12.3 - 13.9 (14.1) × 3.1 - 4 (4.3) µm Q = (3.1) 3.3 - 4 (4.2) ; N = 14
VII) Pyrenochaeta
fallax ist dagegen eine Anamorphe, die als behaarte Pyknidien
erscheint. Andere Vertreter der Gattung (insbesondere P. terrestris)
sind bedeutende Pflanzenschädlinge im Ackerbau.



(3.8) 4.2 - 5.7 (5.9) × (1.4) 1.5 - 1.9 (2.1) µm Q = (2.4) 2.5 - 3.6 (3.7) ; N = 12
VIII) Die
folgenden haarlosen, relativ großen Pyknidien waren auf vielen
Stängeln zu finden, ich konnte sie jedoch nicht bestimmen.



(3.7) 3.8 - 4.5 (5) × (1.4) 1.5 - 1.9 (2) µm Q = (2) 2.2 - 2.6 (2.9) ; N = 26
IX) Der einzige
„echte“ Becher, den ich fand war Cyathicula cyathoidea.
Er ist recht häufig, nicht nur an Urtica. Allerdings
muss man schon genau hinschauen, denn die Fruchtkörper sind zwar ein
klein wenig größer als die erstgenannten Arten, aber sie bilden
keinen so deutlichen Kontrast zum Hintergrund. Das Foto fertigte ich daher vor meinem schwarzen Laptop als Hintergrund an.




(8.9) 9 - 10.6 (11.1) × (1.5) 1.6 - 2.1 (2.3) µm Q = (4.1) 4.6 - 6.2 (6.5) ; N = 17
Die
folgenden zwei haben mein Herz als Fan von „Köpfchenpilzen“
höher
schlagen lassen:
X) Dendryphion comosum: ohne
Hilfsmittel erkennt man nur einen filzigen olivbraunen Belag. Unter
der Lupe lassen sich aber Kolonien von winzigen „Bäumchen“ aka Konidiophore erkennen, an deren Spitze die mehrzelligen blasigen
Konidien sitzen. Ihr Vorkommen ist nicht auf Urtica beschränkt.


XI) Endophragmia atra sieht
unter der Lupe zunächst ähnlich aus, allerdings sind die großen
Phragmosporen an den Synnemta bereits hier zu erkennen. Im Quetschpräparat ergeben
sich manchmal hübsch symmetrische Bäumchen. Meist an Urtica aber
auch auf anderen Substraten (u.a. Clematis) zu finden.



XII) Diese
gelblichen, aus den Spalten im Stängel hervorbrechenden Gebilde (ca
1-2mm) hielt ich draußen zunächst für Becherlinge. Sie stellten
sich allerdings als steinhart heraus. Nachdem
sie mit Wasserkontakt blasig aufquollen
vermutete ich Gallertpilze. Sie
blieben aber auch gequollen so extrem hart, dass mir leider kein
mikroskopisches Präparat gelang. Ich habe mal bei Björn angefragt,
der sich ja zuletzt häufiger mit dem Geglibber beschäftigte. Er
schloss Gallertpilze aus und vermutete es könnten Sklerotien sein.
Ich werde den Stängel mal in den Garten verfrachten und beobachten
ob irgendwann noch was draus wächst.

So das
war‘s vorerst, ich hoffe ich konnte das Image der Brennnesseln
etwas aufbessern. Natürlich sind sie Stickstoffzeiger und treten
gerne in dominanten Monokulturen auf. Aber dafür können sie ja
nichts. Den Boden überdüngt haben andere.
Kommentare,
Korrekturen oder Kamellen jederzeit willkommen.
Viele Grüße
Ingo