Wie wichtig ist die Fruchtkörperform für die Verwandtschaftsbeziehung (Systematik) der Pilze?

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 1.715 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Oehrling.

  • Hallo,


    ich bin auf der Suche nach einer guten Antwort auf diese Frage. Es ist eine Frage aus dem Fragekatalog der DGfM.

    Leider gibt es keine offiziellen Antworten auf die Frage und man muss sich da selbst Gedanken machen, diese zu beantworten.

    Konkret ist die vollständige Frage wie folgt:


    Wie wichtig ist die Fruchtkörperform für die Verwandtschaftsbeziehung (Systematik) der Pilze? Belegen Sie Ihre Antwort mit einem Beispiel.


    Meine Antwort wäre gewesen, dass gemeinsame Merkmale einer Gattung zusammengefasst werden und zur nächst höheren

    taxonomischen Einheit zusammengefasst werden.(Abst. Reihenfolge: --> Reich, Abteilung, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art).

    Die Zusammenfassung der Merkmale muss aber nicht zwangsläufig auf der Fruchtkörperform fußen. Beispielsweise gehört der Kahle Krempling zur Ordnung der Dickröhrlinge

    hat aber mit dem eingerollten Hutrand und dem lamellenförmigen Hymenophor keine makroskopische Ähnlichkeit bezüglich seiner Form mit

    anderen Pilzen der Ordnung der Dickröhrlinge wie dem Gemeinen Steinpilz. Auf Familienebene der Kremplingsverwandten Paxillus (und auf der Zwischenebende der Unterordnung Paxilliae - der Kremplingsartigen),

    haben die Fruchtkörper des Kahlen Kremplings zu anderen Kremplingen eine Wesentlich höhere Ähnlichkeit. (Lamellen am Stiel herablaufend, eingekrempelter Hutrand).

    Trotzdem ähneln sogar andere Gattungen den Kremplingen - Beispielsweise der Hasel-Milchling, der einer vollkommen anderen Gattung (Lactarius - Milchlinge) angehört.

    Wichtig ist, welches gemeinsame Merkmal die jeweilige taxonomische Einheit zusammenfassen lässt. Beim Kahlen Krempling ist eine Ähnlichkeit zu den Dickröhrlingen

    z.B. das leichte Entfernen des Hymenophors, welches sich wie eine Röhrenschicht vom Fruchtfleisch trennen lässt - Bei Lactarius wäre es das Milchen der Fruchtkörper.

    Letztlich sind die genetischen Eigenschaften für die Systematik der Pilze am relevantesten --> So wurde 2010 die Gattung der Milchlinge trotz aller Ähnlichkeit in Fruchtkörperform (Lamellen, ringloser Stiel, Sprödigkeit)

    zusätzlich in Lactifluus unterschieden.

  • Hallo Rotfuchs,


    Welche Systematik?


    Klassifizierungen haben immer etwas Willkürliches. Es gibt verschiedene Konzepte, zum Beispiel kann man Pilze nach der Nutzung klassifizieren. Das dürfte das älteste Konzept sein. Ältere biologische Konzepte bauten schon sehr auf das Erscheinungsbild auf, also makroskopisch. Aktuell befinden wir uns im Umbruch von dominanten mikroskopischen Merkmalen (Ständerpilze / Schlauchpilze) für die Klassifizierung hin zu Sequenzierungen, zunächst kürzerer Abschnitte, verbunden mit der Idee, dass man damit evolutionsgeschichtlich engere Verwandschaften (spätere Trennung der Taxa) nachweist (was nicht nachgewiesen ist, sondern eher ein educated guess ist).


    Vermutlich wäre die Antwort: ganz wenig

    Steinpilz - Krempling - und dazu gehören dann auch noch Melagonaster, die Schleimtrüffel - wie man sieht, die Ähnlichkeit ist verblüffend:

    oder

    die Gattungen von kleinen Bechern Lachnellula (Asco) vs. Lachnella (Basidio)


    LG, Bernd

  • Hallo,


    die richtige Antwort ist, dass die Fruchtkörperform keine oder nur selten eine Rolle für die Systematik spielt.


    Beispiele sind z.B. die Fruchtkörperform "korallenförmig, verzweigt", denn die kommt in den verschiedensten Verwandtschaftslinien vor (Basidiomyceten (Bauchweh-Koralle), Ascomyceten (Geweihförmige Holzkeule), Heterobasidiomyceten (Klebriger Hörnling)

    Oder die Fruchtkörperform "kugelig" hat man ebenfalls in allen möglichen Verwandtschaftslinien (Boviste und Stäublinge gehören zu den Schirmlingsverwandten, Kartoffelboviste zu den Röhrlingsverwandten, Blutmilchpilz ist ein Myxomycet und somit noch nicht mal ein Pilz ....).

    Usw, usw.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hallo,


    In allen Bereichen gibt es genug Beispiele, in denen äußerliche Merkmale nichts über die Verwandtschaft aussagen. „Form“ ist eben kein guter Anhaltspunkt für verwandtschaftliche Nähe.

    Stichwort „Analogie“ oder „konvergente Evolution“.


    Viele Grüße,
    Emil

  • Hallo zusammen,

    für die Bestimmung der Pilze vor Ort (eines der Hauptbetätigungsfelder des Pilzsachverständigen!) spielen die Fruchtkörperformen selbstverständlich eine große Rolle, etwa beim Erkennen eines Pilzes als den Gattungen Risspilz, Champignon, Raustielröhrling, Kartoffelbovist etc. zugehörend. Die Aussage, die hier transportiert wird, nämlich dass die Fruchtkörperform keine Rolle spielt für die Klassifizierung eines Pilzes oberhalb der Artebene, ist mE sehr missverständlich.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    • Offizieller Beitrag

    Die Aussage, die hier transportiert wird, nämlich dass die Fruchtkörperform keine Rolle spielt für die Klassifizierung eines Pilzes oberhalb der Artebene, ist mE sehr missverständlich.

    FG

    Oehrling

    Hi,


    sehe ich nicht so. Die Frage bezieht sich direkt klar auf die Systematik/Verwandtschaftsbeziehung bezüglich Fruchtkörperformen...


    l.g.

    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.

  • Hallo Oehrling,


    da möchte ich Dir widersprechen.

    Die Frage lautet "wie wichtig ist die Fruchtkörperform für die Systematik" und nicht ob sie für die Bestimmung wichtig ist. Und die Form des Fruchtkörpers sagt in der Tat wenig über mögliche Verwandtschaftbeziehungen aus. Pilze mit gleichen Fruchtkörperformen können miteinander nah verwandt sein, müssen es aber nicht zwingend und sind es oft eben auch nicht. Daher ist der Wert der Fruchtkörperform für die systematische Einteilung der Pilze nur von geringem Wert.

    "Risspilzhabitus" ist keine Fruchtkörperform - "gestielter Fruchtkörper mit Hut" wäre dagegen eine.


    Für die Bestimmung der Pilze wird die Fruchtkörperform weiterhin eine große Rolle spielen. Eine Grobeinteilung nach Fruchtkörperformen wird in den gängigen Pilzbücher vermutlich meist das angewandte System bleiben. Für die Praxis prima, über die systematische Beziehung all der Pilze mit becherartigen, keulenförmigen, koralligen oder wieauchimmer-Fruchtkörpern sagt es aber gar nichts. Im Gegenteil, ich muss beim basteln von Bestimmungsschlüsseln höllisch aufpassen, dass ich nichts vergesse, weil eben im Schlüssel der koralligen Pilze Arten geschlüsselt werden, die sich nachher an 4 verschiedenen Stellen im Buch befinden.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hallo Andreas,

    mit deiner Erläuterung bin ich einverstanden und kann sie inhaltlich nachvollziehen. Ich hoffe nur, dass ein angehender Pilzsachverständiger, der für die Beantwortung dieser Frage in der Prüfung ein oder zwei Minuten Zeit hat, dann solche Überlegungen anzustellen in der Lage ist.

    Bitte nehmt das als Feedback von einem, der vor langer Zeit auch die Prüfung ablegen musste und der eine solche Frage als schwer durchschaubar und in gewisser Weise als überraschend empfunden hätte.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!