Hallo,
da habe ich doch noch mal auf der Tastatur geklimpert - als Ergänzung zum "Kleingedruckten".
Es ist off-off-off-topic und dann doch ein "Roman" geworden, um die Entwicklung ein bisschen differenzierter darzustellen.
"Warum gab es eine Zäsur in der wirtschaftlichen - aber auch sozialen - Entwicklung der Seychellen nach 2008?"
Es geht etwas zurück in die jüngste Geschichte:
kurz nach dem Erreichen der Selbstständigkeit gab es einen Putsch, danach hatten die Seychellen ein Ein-Parteien-System mit einer A r t von "selbstgestricktem " Sozialismus, mit allem restriktiven Eigentümlichkeiten in wirtschaftlicher Hinsicht und auch mit mehr oder weniger deutlichen Nachteilen für Andersdenkende, aber auch mit sozialer Absicherung/ freier Gesundheitsversorgung und Ausbildung (z.B. Auslandsstudium in Ostblockstaaten auf Staatskosten).
In den 90-er Jahren - nach den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in den Ostblockstaaten und die dadurch wegbrechende Unterstützung - wurde das Mehrparteien-System wieder eingeführt und private Investitionen sollten gefördert werden. Die bisher einzige Partei benannte sich um - und gewann viele Jahre weiterhin die Parlamentswahlen. Wie man hören konnte gelang dies auch durch viele Wahlgeschenke, Versprechungen und gleichzeitig Warnungen vor einer zu großer Veränderung. Die Stimmenverteilung war zwar oft fast 50/50 - die Sitzverteilung im Parlament wird aber überwiegend durch Direktmandate bestimmt - d.h. sie gibt nicht wie bei uns die prozentuale Verteilung der Stimmern wieder.
"A direct franchise system was used for the 25 seats to the National Assembly (one per electoral district) on the basis of the first-past-the-post system. In addition, up to 10 seats would be filled by proportional representation, with the parties nominating a proportionally elected member for each 10 per cent of votes polled." aus electionsseychelles.html
Seit 2016 haben zum ersten Mal "die anderen" im Parlament die Mehrheit, der Präsident/Regierungschef ist aber noch von der früheren Einheitspartei - weil Parlamentswahlen und Präsidentenwahlen zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden. Diese etwas seltsame Konstellation wird von den Leuten unterschiedlich bewertet, von "geht gar nicht" bis zu "jetzt kommt alles auf den Tisch, alles muss beredet werden - und das ist gut!"
History of Seychelles - Wikipedia
Seychellois parliamentary election, 2016 - Wikipedia
Die Strukturen blieben aber in all den Jahren im Prinzip unverändert. Obwohl es Tourismus gab, war chronisch Ebbe im Staatshaushalt. Der Wechselkurs der Währung entsprach nicht der Wirtschaftsleistung und wurde künstlich auf einem hohen Niveau stabil gehalten - die Währung war im internationalen Handel nicht frei konvertierbar. Ausländische Devisen waren absolute Mangelware. In den Banken gab es für "Otto-Normal-Seychellois" - und auch für kleinere Geschäftsleute - kein "Forex", daher gab es einen blühenden Devisen-Schwarzmarkt, der natürlich die Situation "kein Forex auf dem offiziellen Markt" noch verschlimmerte. Ohne Devisen kann man nichts im Ausland kaufen - und eigentlich muss auf den Seychellen alles importiert werden, von Reis und Mehl bis zu Mineralöl (auch für die Stromerzeugung!... inzwischen gibt es auch Windräder und ein bisschen Solarenergie-Nutzung), Autos, allen technischen Geräten, allen höherwertigen Materialien, allen Ersatzteilen.
Relativ gut hatten es da schon die Besitzer von kleineren privaten Tourismus-Unternehmen, die von den Gästen Devisen einnahmen und diese nur zu einem Teil umtauschen mussten ... und noch weniger als sie sollten tatsächlich auf die einheimische Bank gebracht haben - und statt dessen irgendwo Auslandskonten hatten.
Die Regale in den Läden waren oft ziemlich mager bestückt - um nicht zu sagen: leer.
Nur Leute mit "Zugriff" auf ausländische Devisen konnten Dinge aus dem Ausland importieren. Der Staat war auf internationale Kredite angewiesen.
Der Internationalen Währungsfond forderte für weitere Kreditvergaben wirtschaftliche Reformen und Einsparungen - und unter diesem Druck wurde der Wechselkurs der Währung 2008 freigegeben. Die Währung hat schlagartig ungefähr 50 Prozent an Wert verloren und sich dann auf einem Niveau stabilisiert, das fast an den vorherigen Schwarzmarktpreis herankam.
Für viele "kleine" Leute war das ein extremer Einschnitt, weil das Preisniveau für alltägliche Güter für die Einheimischen stark anstieg - und Löhne und Renten deutlich hinterherhinkten. Auch wurde die Anzahl der staatlich Beschäftigten reduziert.
Doch diejenigen, die doch einiges an Rupees gehortet hatten - für die sie vorher nichts kaufen konnten - oder diejenigen mit den Auslandskonten, diese konnten plötzlich doch mehr kaufen, mehr bauen, mehr investieren = Handel und Wandel - und es gab einfachere Entfaltungsmöglichkeiten auf dem privatwirtschaftlichen Sektor.
Die Entwicklung ging dann ziemlich rasch - der Markt wurde für Importe geöffnet und die Läden waren voll, auch voll von Ramsch. (Im Übrigen sind viele Dinge in den Tropen nicht sehr haltbar: Stoffe werden durch UV-Strahlung schneller bleich und morsch, eingefärbtes Plastik draußen wird bleich und spröde, elektrische Geräte korrodieren schneller durch feucht-warme und salzhaltige Meeresluft, unedles Metall rostet so schnell, dass man beinahe zuschauen kann etc.)
Es gab dann diejenigen, die sich die Konsumgüter schon leisten konnten und es gab diejenigen, die den anderen "hinterher hechelten", um sich das auch leisten zu können. Manche hatten sehr schnell das Nachsehen und wieder andere dachten ..."Wieso anstrengen? Wie komme ich da anders heran?"
D.h. man meint oft, ein latente Unzufriedenheit bei manchen Leuten zu spüren, bei anderen eher Fatalismus und öfter wird auch von "Abzock-Aktionen" gegenüber Touristen berichtet. Ausflüge oder Grillen am Strand o.ä. Dinge ... mit Vorkasse ... sollte man nur bei lizensierten Unternehmen buchen oder sich von den Betreibern seiner Ferien- Unterkunft beraten lassen bzw. jemand Vertrauenswürdigen vermitteln lassen.
Das, was immer noch in den Reisebroschüren und Werbeprospekten geschrieben wird - dieses "nicht-hektische", "entschleunigte", "gemächliche" Leben usw. , das entspricht nicht der Alltags-Realität der meisten Einheimischen.
Der Konsum und das Streben nach "vorzeigbarem" Besitz hat zugenommen ... und wer will es den Leute verbieten, sich das zu leisten, was sie meinen, sich leisten zu können oder unbedingt besitzen zu müssen - wenn das bis vor wenigen Jahren noch nicht möglich war? Und wie will man es schaffen z.B. den Individualverkehr wieder etwas einzuschränken - oder den Weg von "kein Auto" über "ein Auto pro Familie" über "zwei Autos pro Familie" auf "Car-sharing mit Elektroauto" irgendwie zu verkürzen ... Trotz der steigenden Autozahlen hat noch längst nicht jede Familie einen fahrbaren Untersatz - allerdings gibt es auch schon die Familien mit 2-3 Fahrzeugen, wo dann z.B. die Kinder zur Schule gefahren und wieder abgeholt werden.
Obwohl es immer schon relativ gut ausgebauten günstigen öffentlichen Nahverkehr gab, hat die Zahl der zugelassen PKW trotz relativ hoher Importsteuern drastisch zugenommen (KFZ-Steuer wurde - glaube ich -noch nicht "erfunden" und das Benzin ist auch billiger als in Europa), Allerdings sind die Busse alt und relativ unkomfortabel, sie stoßen dicke schwarze Wolken aus. Fast alle kleineren Wohngebiete werden angefahren, manche Strecken sind durch Umsteigezeiten allerdings zeitaufwendig - aber fast alle Orte sind erreichbar. Es gibt Schulbusse und große Hotel haben Transportbusse für ihre Angestellten. Trotzdem fahren immer mehr - allein - mit dem Auto weite nervtötende Strecken zu Arbeit und die allerliebste Freizeitbeschäftigung ist es auch geworden.
Reduzierung ginge nur über Preise und Steuern - und diejenigen, die das einführen, würden wohl nicht gewählt werden ...
Es muss also erst wirklich für alle sichtbar der "Karren im Dreck" stecken ... was vielleicht nicht mehr lange dauert, denn die Insel ist so klein bzw. so gebirgig, dass für breitere Straßen oft einfach kein Platz ist.
Ebenso führt mehr Konsum zu mehr Müll, zu viel mehr Müll - die Jahresmüllmenge in kg/Einwohner liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt, auch über den Mengen in Deutschland.
Dabei wirkt alles relativ sauber, es gibt Mülltonnen an bestimmten Sammelpunkten, diese werden regelmäßig von der Müllabfuhr geleert. Nach den Wochenenden sind manche gut besuchte Strandabschnitte verschmutzt, aber dann kommt ein Aufräumkommando, das kehrt auch immer wieder das angeschwemmte Seegras/die Algen auf einen Haufen. Das funktioniert alles sehr gut. Man sieht keine stinkenden Müllhalden, es gibt keine rauchenden Müllfeuer, relativ selten sieht man wilde Kippen ... d.h. man muss wissen, an welcher Stelle man den Abhang hinunter schauen muss...
Aber wo landet der Müll?
Ich wusste es auch nicht genau und habe mal gesucht: natürlich wird der Müll auf Halden ("Landfill") gelagert, auf (künstlich) aufgeschüttetem Land angrenzend an das Haupt-Gewerbegebiet.
Und es ist schon lange von offizieller Seite erkannt worden, dass die Mengen ein Problem sind bzw. in naher Zukunft werden. Mülltrennung, Recycling, Export von herausgesammelten Wertstoffen (Aluminium, aber auch sauberes PET), Biogasherstellung, das ist alles "angedacht" - aber es dauert lange, bis Entscheidungen getroffen und auch wirklich allgemein merklich in die Tat umgesetzt werden.
Eine Studie zum Müllmanagement in Zusammenarbeit mit ETH Zürich fand 2016 statt.
Report: Sorting trash could help reduce Seychelles’ waste management problem
Der Müll wird größtenteils noch nicht getrennt - ein Pilotprojekt in einem kleineren Bezirk scheiterte wohl. Vielleicht braucht es da noch ... mehr Einsicht? mehr Zeit? mehr Willen? mehr Anleitung?
Ein schon seit Jahren funktionierendes Pfandsystem besteht nur für die Bierflaschen der einheimischen Brauerei, für Limonade ist es vor einiger Zeit abgeschafft worden.
Der PET-Müll nimmt zu, obwohl im Verbrauch da m.M. nach die Touristen führend sind (oder waren). Für die Einheimischen waren bisher die abgefüllten relativ kleinen Flaschen sehr teuer. Wer kann, greift kostengünstig auf natürliches Quellwasser zurück, mit direktem Schlauch von einer Quelle in einen privaten Wassertank oder nutzt das Leitungswasser.
Dieses entspricht - und das ist auch eine Leistung für ein Land in den Tropen - den internationalen gesundheitlichen Standards und ist mit Chlor desinfiziert ... Die Nutzung wurde gerade (wg. des Müllaufkommens) wieder heiß empfohlen ... Minister So-und-so: "Leute, trinkt wieder mehr Leitungswasser, das ist völlig in Ordnung!"
Es ist manchmal merklich, manchmal weniger merklich gechlort... Tee damit zubereitet schmeckt oft erbärmlich. Die Leute haben dann Tricks wie "Wasser in Eimer füllen, stehenlassen, nur das obere Drittel benutzen, lange abkochen etc.) Man kann auch nicht hundertprozentig sicher sein, dass - wenn das Wasser in Tanks auf Grundstücken gesammelt wird (was sehr sinnvoll ist, weil manchmal ist die Versorgung unterbrochen), diese Tanks niemals verunreinigt sind und dass die Schläuche immer sauber und tauglich sind (alles schon erlebt ...).In regenarmen Perioden - und wenn die Reservoirs fast leer sind - wird das Wasser mit dem Wasser aus einer Meerwasserentsalzung gemischt. Auch hier kann immer wieder mal der Restsalzgehalt nicht hundertprozentig stimmen, das ist schon vorgekommen.
Über die gesundheitliche (Langzeit-)verträglichkeit von gechlortem Wasser gehen die Meinungen auseinander - es ist eine Frage der Dosis und inwiefern schädliche Reaktionsprodukte entstanden sind oder entstehen können. Meine eigene Erfahrung geht aber dahin, dass mein Magen schon nach relativ kurzer Zeit bei versuchsweiser Nutzung von gechlortem Trinkwasser (auch mit den Tricks s.o.) sehr empfindlich reagiert, mit Appetitverlust und Aversion gegenüber diversen Lebensmitteln, so eine A r t von latenter Schleimhautreizung - ich nutze solches Wasser höchstens zum Kochen aber nicht als pures Getränk.
Neuerdingsgibt es große wiederverwertbare Behältnisse mit einem Pfandsystem (5 und 20 l ... und es gibt auch diese Trinkwasserspender/-kühler, auf die diese Flaschen aufgesetzt werden können) - wie das genau funktioniert, z.B. mit der dezentralen Versorgung oder sogar Anlieferung im Abo ist mir noch nicht so ganz klar geworden. Die großen Flaschen kann ja keiner aus dem Laden nach Hause schleppen, die müssen schon anders transportiert werden.
Der Begriff "sustainability" (Nachhaltigkeit) wird auch schon verwendet.
Neue Unterkünfte müssen auch irgendwas mit erneuerbarer Energie machen (hörte ich), meist ist das dann Warmwasser-Erzeugung mit Solarenergie (so ein Tank auf dem Dach), in öffentlichen Bereichen in der Stadt sieht man Beleuchtung, die mit Solarpanels funktioniert.
Stromerzeugung mit Solarzellen auf Gebäuden sieht man noch sehr wenig, einige (bessere, eventuell von Ausländern bewohnte Häuser) habe ich damit gesehen.
Andererseits wird auch immer mehr Strom verbraucht.
Die traditionelle Bauweise war so, dass es einen "Innenkern" gab (aus Holz oder Stein) mit einer umlaufenden Veranda mit viel Dach, die den direkten Sonneneinfluss auf die Wand verminderte, ein hohes Dach mit "Lufthutzen", so dass warme Luft oben abgeführt werden konnte. In solchen Häusern waren Klimaanlagen völlig überflüssig - und auch gar nicht machbar, wegen der vielen Luftöffnungen. Man kam von draußen nach drinnen und fühlte sich wohl, es war wie im tiefsten Schatten.
Später hatte man überwiegend Glas-Lamellenfenster, wo man den "Durchzug" regulieren konnte (die sind aber nicht einbruchssicher und die Scharniere verrotten schnell). Mit den jetzigen Schiebefenstern ist es entweder zu offen (man hat vollen Durchzug) oder nicht offen genug (die Einheimischen klagen darüber, dass ihr Haus auf einmal so heiß ist.) Die Dachkonstruktionen sind oft niedriger, die Lufthutzen spart man sich (ist aufwendiger und kostet mehr), es gibt keine Außenjalousien o.ä. die den Sonneneinfluss auf Fenster vermindern würden. Stein-und Betonhäuser heizen sich viel mehr auf, bzw. geben die Wärme noch spät am Abend bis nachts ab.
Nicht nur in "modern" gebauten Ferienunterkünften gibt es Klimaanlagen (80-90 Prozent der Touristen wollen das unbedingt, aber es liegt viel an der Bauweise), auch viele Einheimische schaffen sie sich an ...
Inzwischen hat man die Plastiktüten in den Läden abgeschafft und die Styropor-Boxen der Take-aways (es gibt jetzt Tragetaschen aus Stoffen und Vliesmaterial und Boxen aus Recycling-Material, abbaubar ... aber Müllbeutel muss man daher jetzt kaufen.)
Beginning of a cleaner Seychelles? Ban on plastic bags, plates, cups now in effect in Seychelles
Wie man sieht, alles ist irgendwie wie überall, nur quasi "en miniature".
Man darf durchaus gespannt sein, wie es weitergeht.
Noch ein paar Eindrücke:
ohne Worte

Großbaustelle und Solarlampe

Nicht so häufig

Hypermarket mit Wachmann (der breitbeinige Mann im Vordergrund, einer von mehreren)

Bunte Vliestüten
