Helvella monachella - Obacht, es drohen Hirnkrämpfe durch lesen.

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  • Hallo zusammen,


    ich berichtete kürzlich vom Fund einer Helvella monachella (fraglich spadicea oder leucopus): Überraschungen auf Sand


    Hier nochmal ein Bild:


    Mittlerweile konnte ich auch reifere Sporen gewinnen, die jetzt sehr gut ins Bild passen (vgl. Skrede 2017 oder Häffner 1987).


    Ich habe jetzt noch etwas zum Pilz recherchiert, weil sich mir die Frage stellte, ob und wie man den jetzt sicher benamsen kann.


    Ich hatte ja bereits ausgeführt, das für den Fund verschiedene Taxone infrage kommen, wobei sich gleichzeitig die Fragen stellen, ob es sich erstens bei diesen Taxonen um eigene gute Arten oder Synonyme handelt und zweitens, welches Taxon den das gültige ist, wenn es mehrere Synonyme gibt.


    Infrage für meinen Fund kämen die Taxone Helvella monachella (von ital./lat. Monacella = Mönchskopf oder Mönchlein), Helvella spadicea (lat.: kastanienbraun) oder auch Helvella leucopus (lat.: Weißfuss)

    • Helvella monachella (Scop.) Fr., Syst. mycol. (Lundae) 2(1): 18 (1822), Basionym: Phallus monachella Scop. [as 'monacella'] 1772
    • Helvella spadicea Schaeff. [as 'Elvela'], Fung. bavar. palat. nasc. (Ratisbonae) 4: 112 (1774)
    • Helvella leucopus Pers., Mycol. eur. (Erlanga) 1: 213 (1822)

    Schaut man in die Literatur, so stellt man schnell fest, dass es wild durcheinander geht bzw. verwirrend wird. Verschiedene Autoren scheinen die Arten jedenfalls zu synonymisieren. Nur jeder benutzt dann ein anderes Taxon als das gültige und beruft sich auf unterschiedliche untersuchte Lecto- oder Epitypen:


    Dissing H. 1966b. The genus Helvella in Europe with special emphasis on the species found in Norden. Dansk Botanisk Arkiv 25: 1–172.

    • Hier Helvella leucopus PERS., Mycol. Eur. 1:213 (1822). Beschreibung des Protologs (frei übersetzt): Leucopus, mit auf beiden Seiten nach unten und anliegendem Hut, schließlich rötlich-braun, Stiel glatt, weiß, glatt. Ich habe diese neue Art Anfang April an den Hügeln unter Bäumen gefunden, nahe Paris. Die Erscheinung ähnelt der Helvella Mitra, ist jedoch etwas kleiner. Der Hut liegt noch unter der Erde verborgen, ist bleigrau-livide, bei ausgewachsenen Pilzen braun und getrocknet fast schwarz. Der Stiel ist kaum 1 Zoll hoch, 3-4 Linien dick, zylindrisch, meist mit einer großen, durchgehenden Lücke am Boden versehen.
    • Als Synonyme führt Dissing Helvella monachella und Helvella spadicea an.
    • Dissing designierte einen Lectotype von leucopus: Lectotype L (colln Persoon) 910.261-997 (Designated by Dissing, Revue Mycol., Paris 31(3): 212. 1966). In diesem Aufsatz (https://www.biodiversitylibrar…m/289523#page/26/mode/1up) liest man: Helvella leucopus Pers., Mvcol. Eur. 1 : 213 (1822). syn . : Helvella monachella Scop, ex Fr. sensu Bond., Hist. Class. Disc. d ’Europe 36 (1907). Helvella albipes Fuck., Symb. Myc. 334, PI. 5, Fig. 2, 18690 (1870); - Bond., Hist. Class. Disc. d’Europe 36 (1907); — leones Mycol. 2, PI. 231. Fig. 10 g. Untersuchte Sammlungen: Helvella monachella forma, in Larix-Wäldern, leg. BRESADOLA (in BRESADOLAS Handschrift); in der Handschrift von BOUDIER; Brief vom 14. Juni 1897; Helvella monachella. Nizza, Pilze der Alpes-Maritimes, Frühling-Sommer 1889, gesendet von BARLA; — Helvella monachella, Lyon, 4.1898, leg. D. RIEL; H. monachella, Lyon, 5.1898, gesendet von D. RIEL; - Helvella monachella, Belfort, gesendet von JOACHIM; Helvella monachella. Der Typus von Helvella leucopus Pers. (siehe Abb. 10 g) wurde aus Leiden (L) gesehen. Diese Sammlung wurde wahrscheinlich bisher übersehen. Sie ist identisch mit den Sammlungen, die im Herbarium von Boudier als H. monachella bezeichnet sind. Die Exemplare, die von BOUDIER als H. albipes Fuck. (l. c. PI. 231) dargestellt wurden, illustrieren sehr gut dieselbe Art. Helvetia monachella und H. albipes sind Synonyme von H. leucopus. BOUDIER (1907) erwähnte H. monachella und H. albipes als zwei getrennte Taxa, und es ist daher eher merkwürdig, dass während die im Ikones abgebildete Sammlung als H. albipes bezeichnet wird, alle Sammlungen in seinem Herbarium als H. monachella bezeichnet sind. Helvella monachella Scop, ex Fr. (wie von FRIES (1823: 18) beschrieben) ist wahrscheinlich eine Gyromitra-Art. Helvella leucopus ist eine sehr interessante Frühjahrsart, die bisher weder in Großbritannien noch im Norden erkannt wurde. Ihre großen Sporen und ihr charakteristisches Aussehen machen sie leicht erkennbar. Dennoch hat die Art viele Autoren verwirrt. Ich hoffe, MOSER (1963: 89) hat den Hinweis, indem er Leptopodia albipes (Fuck.) Bond und Leptopodia monachella (Scop, ex Fr.) Boud. als zwei getrennte Taxa nennt (BOUDIER hat diese Kombinationen nie gemacht!) Aber MOSER hat recht, wenn er behauptet, dass beide Arten durch Boudiers Pl. 231 illustriert werden (MOSER l.c.)!

    Skrede 2017 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/p…832953/pdf/per-39-201.pdf) wiederrum nutzt das Taxon H. monachella und synonymisiert darunter dann wiederrum H. leucopus (S.232).


    Untersucht wird ein Lectotype designated here: Battarra, Fungorum Arimin.: t. 2, f. H, sub 'Boletus albus pileolo complicatus nigro', 1759. MycoBank MBT375704 (siehe hier: https://bibdigital.rjb.csic.es…=picture&o=bookmark&n=0&q) und das Table dazu hier: https://bibdigital.rjb.csic.es…=picture&o=bookmark&n=0&q


    Und eine entsprechender Epitypus von monachella aus Ungarn (die sich als identisch erweisen - siehe unten). Die Lectotypen von Dissing werden mit dem Taxa leucopus als Synonyme betrachtet, ohne das Dissings designierter Lectotype untersucht wird („not examinated“ S.232).


    Der Bezug auf Monachella geht zurück auf die Beschreibung von Scopolis „Phallus monacella“, wobei monacella als Schreibfehler betrachtet wird. Warum dieser Bezug hergestellt wird, wird in den Notizen erklärt auf Seite 233 (frei übersetzt): „Notizen — Die rpb2- und hsp-Sequenzen sind unter den sequenzierten Exemplaren identisch. Helvella monachella Scop. wurde von Fries (1822) sanktioniert, der H. leucopus als ein vermutliches taxonomisches Synonym auflistete (Fries 1832). Fries (1822) interpretierte Scopolis Art fälschlicherweise, als er auch H. spadicea als Form b von H. monachella einschloss (Fries 1822), wobei dieses letztere Pilzchen vermutlich eine Gyromitra-Art repräsentiert, wie auch von Dissing (1966b) geschlossen wurde. Wir haben Battarras Originalillustration von 'Boletus albus pileolo complicatus nigro' (Battarra 1759) als Lectotypus ('Iconotypus') für den ursprünglichen Pilz von Scopoli (1772) ausgewählt, da sie in der Originalbeschreibung der Art von Fries erwähnt wurde. Helvella albipes Fuckel (1870) ist ein neueres heterotypisches Synonym. Der Lectotypus von H. monachella wird durch einen Epitypus aus Ungarn unterstützt, der rpb2-, hsp- und LSU-Sequenzen liefert, um den Namen präzise anwenden zu können (ICN-Artikel 9.8).“


    Skrede geht also davon aus, dass lediglich forma b bei Fries, also die H. spadicea eine Gyromitra-Art sei (was ich bei Dissing allerdings anders lese, siehe oben und 1966b, obgleich sich Skrede in diesem Punkt auch auf Dissing stützt): Dissing vgl. hier. Online Ausleihbar nach Registrierung, danach kann auch S.138ff. eingesehen werden - https://archive.org/details/ge…vellaine0000diss/mode/2up


    Wenn man die Beschreibung zu Phallus monacella bei Scopoli liest, heißt es dort: Elvela mit gefalteter Kappe, dunkelbraun, geriefter (?!) Stiel („stipitate rimoso“), röhrenförmig https://bibdigital.rjb.csic.es…=picture&o=bookmark&n=0&q=


    Bei Dissing lese ich es so, das H. monachella insgesamt falsch angewendet wird. Das wird auch bei anderen Autoren aufgegriffen, z.B. Im „Peerreviewten“ (?) Artikel von Gayene & Solomon, die M.spadicea als Erstfund für Israel beschreiben (New species of operculate discomycetes (Ascomycota, Pezizomycetes) for Israeli mycobiota. Mycotaxon, 2008, pp127-136 finden sich Hinweise, dass der Name monachella falsch angewendet würde für spadicea:


    Helvella spadicea Schaeff., Fung. Bavar. Palat. Nasc. 4: 112. 1774 Figure 4 =Helvella leucopus Pers., Mycol. Eur. 1: 213. 1822.; =Helvella albipes Fuckel, Jb. nassau. Ver. Naturk. 23-14: 344. 1870.; =Helvella heganii Copel., Ann. Mycol. 2: 510. 1904. Misapplied [also falsch angewendet]: Helvella monachella Scop., sensu Quél., Enchir. Fung.: 273. 1886

    • Weitere Hinweise oder Erläuterungen finden sich dort nicht. Sequenzanalytisch wurde nichts abgesichert/angegeben. Die Beschreibungen der Sporen dort sind zu klein für die Art.

    Zu Helvella spadicea im Index fungorum der Protolog in Fungorum qui in Bavaria et Palatinatu (https://www.biodiversitylibrar…3887193#page/410/mode/1up) und dort auf Seite 112 bei „Elvela“ Spadicea (brauner Pfaffenhut) im Protolog die Beschreibung „Hut braun […] Stiel […] fast von selber Farbe wie der Hut“ ??? Das passt ja nicht, genausowenig wie die Beschreibung des Habitats: Wird im Maymonat in den Wäldern gefunden.


    Weiter heißt es (übersetzt): stängelbildend, einsam blättrig, knorpelig, zerbrechlich, mit membranartig aufgeblasenem, gefaltetem, eckigem, fast runden, braunen Hut; Stiel rund, oft zusammengedrückt, gefaltet, gekrümmt, oben erweitert, fast gleicher Farbe wie der Hut, mit einem Hohlraum.


    Die dazugehörige Tafel in Schaeff. Fung. Icon. 3, Tab. 283 (CCLXXXIII) stützt nach meinem Dafürhalten die Aussage von Skrede, nachdem dieses Taxa eher etwas anderes (gyromitraartiges???) darstellt.



    Im selben Dokument (Fungorum qui in Bavaria et Palatinatu) findet man übrigens etwas weiter vorne auch eine „Elvela Monacella“, der „erdfarbene Bischofshut“. Diese wird dort ebenfalls mit Stielfarben fast von der Farbe des Hutes angegeben. Hutfarbe“dunkelgrau, zuweilen etwas grünlich“. „Wächst in feuchten Wäldern im Frühling und Herbste“. Samt Abbildung auf Tafel CLXII die auch noch gerippte Stiele zeigt passt die auch gar nicht zu meinem Fund und zu alten oder aktuellen Beschreibungen von monachella. Auch nicht zu dem, was Battara zeigt. Allerdings zum gerieften Stiel in der Beschreibung von Phallus monacella bei Scopoli (?!).


    Was genau war also nun die gemeinte Monacella? Ist das Vorgehen von Skrede zu unterstützen, Battarras Originalillustration von 'Boletus albus pileolo complicatus nigro' (Battarra 1759) als Lectotypus ('Iconotypus') für den ursprünglichen Pilz von Scopoli (1772) heranzuziehen weil er (fraglich?) bei Fries dabeisteht?


    Wenn man anerkennt, das Fries den korrekt zugeordnet hat, muss man das Taxon wohl anerkennen oder? Dafür spricht, das eben ein gut beschriebener Epityp sequenzanalytisch zum Lectotyp von Battara passt.


    Ergänzend hier noch der übersetzte Protolog von H.monachella (Fr., Syst. mycol. (Lundae) 2(1): 18 (1822)) mit folgender (übersetzter) Beschreibung:


    H. Monachella, mit abgewinkeltem, gelappt-adnaten glatten Hut in einem Unterton von Braun, mit hohlem, glattem, weißen Stiel. a) Monacelle [...] b) Helv. spadicea [siehe oben bei Skrede...]. Ähnlich wie das vorhergehende, aber gut durch unterscheidbare Merkmale und Frühlingsvegetation charakterisiert. Der Stiel ist 1-2 Zoll lang, nach oben verjüngt, kaum 1/2 Zoll dick, zuerst erdig; dann nahe der Basis leicht zusammengedrückt, mit einer Vertiefung versehen. Der Hut wird schließlich kraus und wellig, in verschiedenen Farben, braun, kastanienbraun, sich verdunkelnd zu "violett", in bergigen sandigen Wäldern im Frühling.


    In Italien ist sie häufig zu finden. Über diese Art sagt Porta: "Gleichzeitig mit diesen (im März erscheinenden Morcheln), die wir gewöhnlich Monacelle [=Mönchlein, oder Mönchskopf, Übers. SL.] nennen, sind sie schwarz, mit einem Stiel, der sechs runde Blättchen hat, die in der Mitte haften, aber geschmacklich minderwertig sind. Unterabteilung II. HELV. PEZIZOIDEAE. Der Stiel ist lang, dünn, zuerst gefüllt, später leicht hohl. Der Hut ist membranartig, mehr oder weniger becherförmig-konvex, nabelartig vertieft; der Nabel verschwindet jedoch, wenn der Hut nach unten gedrückt wird, wodurch er eingeschnitten-gekerbt wird, in jedem Alter frei, oben glatt. - Schlank. Nicht als Speisepilze anerkannt. Sie gehen in einer angrenzenden Reihe in die Pez. Macopod. über, jedoch aufgrund der Ähnlichkeit mit der Gattung Mitris verbunden.


    Häffner (1987) (um diesen Autor auch noch zu ergänzen) nutzt auf Seite 118 in die Die Gattung Helvella – Morphologie und Taxonomie – (Beihefte zur Zeitschrift für Mykologie: https://www.dgfm-ev.de/publika…ie-und-taxonomie/download) das Taxon:


    Helvella spadicea Schaeff. (1774) und synonymisiert

    =leucopus PERS. (1822)

    =H.albipes (FUCK. (1870)

    =H.monachella SCOP. : FR (1886)


    Das was er dort unter Spadicea beschreibt, passt wie die Faust aufs Auge zu meinem Fund (insbesondere neben makro- und mikroskopischen Merkmalen auch die Ökologie). Unter Taxonomie dann der Hinweis: Der Name H.leucopus PERS. Ist nicht durch Fries sanktioniert. Durch die Vorverlegung des Startpunkts erlangt das Schaeffersche Binom Gültigkeit. (Hohmeyer brieflich). Verwirrend, den H. monachella ist ja ebenfalls durch Fries sanktioniert (s.o.) oder habe ich etwas falsch verstanden? Auf dieses Taxon geht er jedoch mit keiner Silbe weiter ein?


    So, wenn ihr es bis hierhin geschafft habt :kaffee: ward ihr vielleicht so interessiert, dass ihr auch eine Idee oder Meinung zu dem Ganzen habt. Gerne her damit.


    Gruß Sebastian

  • Ich verlinke an dieser Stelle mal noch einen weiteren Diskussionsbeitrag:


    BOe


    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian, Respekt vor deiner Akribie und Ausdauer bei der Recherche. Das unterscheidet echte Profis von den faulen Einäugigen wie mich, die sich mit der Bestimmung auf Gattungsebene zufriedengeben.

    Lieben Gruß


    Claudia


    ...leben und leben lassen... ;)


    Hier im Forum gibt es grundsätzlich keine Verzehrfreigaben.

    Pilzsachverständige findest du hier.

  • Hallo zusammen, ja es zeigt eben, wie hoch anspruchsvoll die Aufgabe ist, den richtigen Namen zuzuordnen. Dabei sind die internationalen Regeln zu beachten und nicht selten ist mit unzureichenden Beschreibungen in den Protologen umzugehen. Zudem kann Originalmaterial nicht immer nach untersucht oder ist verloren/zerstört. Dann muss syntypisches Material gefunden und designierte werden. Verschiedene Wissenschaftler sind dann hier zu unterschiedlichen Vorgehensweisen und Schlüssen gekommen. Dann ist zu überprüfen, wer transparent die plausibelste und objektiv beste Argumentation auf Basis der bestehenden Daten und zu befolgenden Regeln vorlegt. Für mich war das jetzt eben Skrede. Daher heißt die gezeigte Art für mich H.monachella und Spadicea und leucopus wären Synonyme.


    LG Sebastian

  • Respekt!

    Eine kleine Nebelkerze von jemandem, der sonst nur staunend deinen umfassenden Beitrag betrachten kann: bei leucopus würde ich jede Wette eingehen, dass das aus dem Griechischen stammt (leukos = weiß, pus = Fuß) lateinisch wäre 'pes' bzw. Albus/candidus und damit die lateinische Variante des Epithets eher albipes ;)