Kunst und Pilze

Es gibt 26 Antworten in diesem Thema, welches 10.994 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Safran.

  • Hallo Bernhard,


    da ich denke, dass es sich hier nicht um Deinen Garten handelt, darf ich's ja sagen: Weder die "Kunst" noch der Pilz ist hier mein Fall. :D
    Allerdings muss ich zugeben, dass die Kombination auch meine Aufmerksamkeit erregt hätte!


    Liebe Grüße,
    Carolin

  • Hallo Carolin,
    danke für deine Antwort. Ich bin zufällig in diesem Ort, drei weitere von meinem, vorbeigekommen. Man hätte als Überschrift auch: "Was will uns der Künstler und die Natur damit sagen?" wählen können.
    lG Bernhard

  • Hmm... interessant ist nun die Frage, wie lange der Hallimasch wohl benötigt, um dieses durchaus beeindruckende Kunstwerk dem Gang der Dinge zurückzuführen und in Totholz zu verwandeln.


    Grüße,
    Ralf

  • Hallo Carolin,
    hab noch mal recherchiert: Der Künstler und Lehrer Marco Lutz aus Dachsenhausen (nähe Koblenz) hat aus einem altersschwachen, abgesägten Baumrest ein Kunstwerk geschnitzt. Die "Untiere" (9 an der Zahl) verkörpern das Hohe Gericht, das Anno 1666 die Anne Färber zum Tode verurteilt. Die
    Tragikomik ist, dass Anne Färber nun zum zweiten Mal durch den Hallimasch gewaltsam umkommt.
    liebe Grüße, Bernhard


    PS
    Die Inschriften:
    1. Codex Criminalis
    2. Schöffen in Casu Anne Färber Anno 1666

  • Das Thema ist noch nicht beendet....
    Habe nun den Künstler erreichen können (Lehrer nutzen die Ferienzeit). Zugrunde liegt ein Roman, von ihm verfasst: "Blaue Hände". Ich bat ihm, mir dieses Buch zuzusenden. Wenn ich es durchgeschmökert habe werde ich noch einen "Abschlussbeitrag" ins Forum setzen.
    bis demnächst,
    lg, Bernhard

  • Ihre Fotos: Wirklich ganz fantastische Bilder !
    Die Bepilzung hat irgendwie etwas eigenartig Surrealistisches. Fast sollte man meinen, dass es sich um eine absichtliche Inszenierung handeln müsste. Gut gefällt mir auch Ihre inhaltliche Interpretation, als zweiter Tod der Romanfigur.
    Formal gibt es durch den Pilz-Trauerflor nun auch tatsächlich eine Verbindung zu einem kunstgeschichtlich nicht unbedeutenden, aber leider pilzlosen, inszenierten Frauenleichnam: "Orphelia", 1851, von John Everett Millais. Schön, dass es Leute wie Sie gibt, die mit offenen Augen und dem Fotoobjektiv im Anschlag unterwegs sind.


    Vor Jahren hat übrigens mal ein sehr interessantes Internetforum zum Thema: "Kunst muss vergehen, ansonsten wird sie verkauft" bestanden, welches dann aber irgendwann in den Untiefen des Netzes versunken ist.
    An das Vergehen durch Pilze hat damals aber so konkret - soweit ich mich erinnern kann - niemand gedacht.


    Viele Grüße
    krex


  • Hmmm: Wer ist Anne Färber?


    Liebe Grüße
    Carolin

  • hallo carolin,
    gut dass du dich noch einmal meldest - "Anne Färber" ist eine Figur aus dem Roman "Blaue Hände" von Marco Lutz. Das Blau steht synonym für das "Blaue Ländchen", Verbandsgemeinde Nastätten im Taunus. Die durch die Schafszucht gewonnene Wolle und der Flachs wurden mittels der Blätter des heimischen Färberwaids, der einen besonders intensiven blauen Farbstoff liefert, blau gefärbt. Die Männer hatten die Aufgabe, an jedem Montag die Stoffe mit zugeführtem Farbstoff und Urin (insbesonder von Jungen) in Bottichen zu stampfen. Vermutlich kommt die Redensart "Blaumachen" von dieser Tradition. Die Männer gingen am Montag nicht arbeiten.


    Du kannst, wenn du willst, dies aber auch im Internet noch umfangreicher nachlesen. Ich gestehe, dass ich bei den ersten Bildern das Kunstwerk nicht näher studierte. Erst dein Beitrag brachte mich dazu, noch einmal genau nachzusehen.

    Das Buch "Blaue Hände" wird in den nächsten Tagen eintreffen. Ich werde nach dem Lesen noch einmal einen Abschlussbeitrag in das Forum setzen. Ich glaube, dass meine bisherigen Beiträge nicht für zu große Aufregung geführt haben, es geht ja in der Tat auch um den Totmacher Hallimasch und die Tragikomik, die dieser nun auslöst.


    Noch zum Abschluss ein Hinweis. In Dausenau an der Lahn wurden im Mittelalter viele Hexenprozesse durchgeführt. Besonders betroffen waren die Frauen, die auf die grausamste Art durch Vierteilen, umgebracht wurden. Marco Lutz versucht, soweit habe ich mal vorgedacht, das Schicksal der Anne Färber in seinem Roman aus dieser Zeit zu Papier zu bringen.
    Liebe Grüße, Bernhard

  • Hallo Bernhard!


    Danke für die ausführliche Aufklärung! Wer hätte geahnt, dass dieses Kunstwerk mit solcher Symbolik behaftet ist?
    Dann bin ich mal gespannt, was Du nach der Lektüre des bestellten Buchs zu erzählen hast!


    Liebe Grüße
    Carolin


  • An alle Kunst- und Pilzliebhaber,


    der Hallimasch wächst überall - !


    liebe Grüße, Bernhard



    Nicht nur der Hallimasch. An den auf den Bildern zu sehenden, befallenen Stellen, wachsen gerne noch ganz andere Pilze...wie bei den Menschen.


    Ich persönlich sehe darin weder Kunst, noch sonst irgend etwas, sondern nur ein Pilz-befallenes Stück Holz, dass irgendwann auf seine Entsorgung wartet.


    LG
    hecla

  • Lieber Hexenopa,


    Sicher bist du kein Kunstbanause!


    Im Rückblick bedaure ich sehr, dass ich anfangs aus Oberflächligkeit das Auge besonders auf die liegende Frau gelenkt hatte. Mir ging es leider nur (auch) um den Hallimasch. Damit wird dem Kunstwerk aber in seiner Gesamtheit keinerlei Rechnung getragen. Zur Verdeutlichung zeige ich dir nun Bilder, um die es in meinen Augen in erster Linie geht, das Hohe Gericht, dargestellt durch Untiere,

    die Inschriften, und die am Boden liegende Verurteilte,


    Die liegende Anne Färber (ich habe danzu bereits umfangreiche Ausführungen gemacht) mit ihrem inzwischen eingetreten Hallimaschwildwuchs ist für den Vorübergehenden nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dies hat der Künstler womöglich auch beabsichtigt. Für den ein oder anderen "Pilzbegeisterten" könnte es doch durchaus auch kurios und einzigartig sein, wenn nun die Romanfigur durch den Hallimasch erneut vorzeitig zu Tode kommt?


    Es gibt, das wirst du sicher wissen, in der Kunst sogar eine bestimmte Richtung, die die Kunst vergänglich werden lässt. In dem von mir vorgetragenen Beitrag meldet sich diese "Richtung" ungefragt zu Wort.


    Zur Kunst und zum Kunstgeschmack verhält es sich ähnlich wie schon der im Wort enthaltene "Geschmack", und der ist bekanntlich, zum Glück, unterschiedlich.


    viele Grüße, Bernhard


    PS:
    1. der Künstler hat aus dem Baumstumpf in seiner Art einen grausamen Hexenprozess aus dem Mittelalter geschnitzt,
    2. wieso muss man sich trauen (und wird dann auch noch gelobt), wenn man seine Meinung sagt?

  • Hallo barthütler,


    Mann..., sei doch nicht gleich eingeschnappt. Das ging doch nicht gegen Dich.


    Es gibt auch Leute wie mich, die von Kunst eine Ahnung wie eine 5-Watt Birne haben und den Gesamthintergrund nicht verstehen (wollen, können etc.) :shy:. In Technik habe ich dafür ein paar Watt mehr in die Wiege bekommen.


    Hier, Haustechnik Dialog Forum wird mit ganz anderen Bandagen gekämpft. Grausam manchmal...


    Also, nicht sauer sein :) , bin doch nur ein friedliebender, Rhöner Pilze-Sammler.


    PS: bei Pilze, Pilzfotos, Pilz-Forum : www.pilzepilze.de bin ich auch vertreten. Anderer Nick. Habe auch da Deinen Beitrag gelesen, dort aber OHNE Kommentar ;)


    Es grüsst Dich herzlichst
    hecla

  • Liebe hecla,
    du kannst versichert sein, dass ich weder eingeschnappt bin, noch deinen Beitrag negativ bewerten möchte/werde. Es gibt soviele unterschiedliche Meinungen in so vielen Dingen - . Gerade bei der Frage Kunst oder nicht Kunst scheiden sich schon viele Geister. Ich antwortete, wenn du mal nachliest, Hexenopa. Ich glaube nämlich nicht, dass du in dir eine Schranke überwinden musstest, deine eigene Meinung zu Papier zu bringen.


    Also bleib cool und erzähl mir mal wo du in Adenauers Wald auf Pilze suchen gehst (brauchst nichts verraten, ganz grob beschreiben)? Ich war nämlich früher sehr oft in Bad - Honnef, bin aber nur in den Wäldern, ohne Pilze zu suchen, zur Erholung spazieren gewesen.
    liebe Grüße, Bernhard


  • hecla zum zweiten,
    mir ist da ein Fehler unterlaufen, zu flüchtig gelesen. Du meintest natürlich die R h ö n und nicht den Wald bei Rhöndorf/Bad-Honnef. Bitte um Amnestie.
    lG, Bernhard


    Hallo Bernhard,
    Amnestie erteilt :) , weiterhin viel Erfolg... ach so ja, den Kanzler Adenauer hab ich in meiner Jugend auch mal gesehen. Sah mit seiner Sonnenbrille ungefähr so aus: :cool: nur der Hut fehlt hier noch...


    LG aus der Rhön
    hecla

  • Hallo,


    hatte vor sehr langer Zeit eine Abschlussbetrachtung nach Studium des fiktiven historischen Roman's "Blaue Hände" von Marco Lutz angekündigt:



    Die Skulptur stellt den Hexenprozess gegen "Anne" anno 1666 dar.


    Den Roman habe ich regelrecht durchackern müssen, er ist etwas sperrig und man braucht halt seine Zeit.


    Anne, die im Jahr 2010 durch den Hallimasch gewaltsam zu Tode kommt, war die Tochter eines Blaufärbers. Der Landstrich, aus dem sie stammte, ist der –žEinrich–œ im Vorderen Taunus (auch heute noch so benannt), zwischen Rhein (St. Goarshausen, Loreley) im Westen, und Diez/Limburg im Osten.


    Sie lebte im 17. Jahrhundert. Damals gab es auf der einen Seite, die –žFärberwaidmafia–œ, die über entsprechende Anbauflächen für den Waid verfügte (Großgrundbesitzer). Ihnen gegenüber standen die Färber, die von der Färberwaidmafia völlig abhängig waren, denn diese bestimmten den Preis des Färberwaids.


    Anne–™s Vater versuchte, sich und seine Zunft aus der Umklammerung der Mafia zu befreien. Er nahm Kontakt mit –žHolländern–œ auf, die ihm Indigo (günstiger zu erhalten und höhere Qualität) aus Übersee zum Färben der Wolle/Stoffe beschaffen wollten.


    Was folgte nun - ? Das immer wiederkehrende –žSpiel–œ - die, die Macht haben, nutzen sie skrupellos und gnadenlos aus (natürlich nicht immer): Da der Vater andernorts wegen des Ankaufs von Indigo Verhandlungen aufgenommen hatte, –žbediente–œ man sich seiner Tochter Anne. Auf die Schnelle wurde sie von einem Gutsherrn in Gegenwart seiner Ehefrau vergewaltigt. Schuld war natürlich die –žHexe Anne–œ, vom Teufel besessen, die ihn spontan verführte (seine Frau, die zusah, bekräftigte dies ausdrücklich). Somit nahmen die Dinge ihren allseits bekannten Lauf.


    Anne flüchtete, anfangs erfolgreich, dann wurde sie durch einen Denunzianten verraten, als Hexe eingekerkert und der Prozess wurde vorbereitet. Sie musste das gesamte bekannte Martyrium durchstehen.


    Marco Lutz, der Verfasser dieses Romans, geht letztlich menschlich mit ihr um. Der zuständige Landesfürst fühlte sich übergangen und nimmt eine für Anne gnädigere Betrachtung vor. Das bereits ausgesprochene Todesurteil wird für nichtig erklärt. Anne stirbt Jahre später durch einen unglücklichen Unfall.


    Ich hatte eine Handvoll Hallimasch rund um Anne geerntet. Erst später wollte ich über diese –žHandvoll–œ entscheiden. Sie landete nicht in meiner Küche, ich habe sie meinem Grundstück an geeigneter Stelle einverleibt.


    Und zum Schluss noch ein Bildchen, das die Raffgier der Ankläger verdeutlichen soll, die dunklen Beutel (Geldbeutel) und die offenen gierigen Hände:





    Und nun wünsche ich A l l e n ein vor allen Dingen zufriedenes und tolerantes Jahr 2012.


    Viele Grüße, Bernhard


    Nachtrag:


    die entblößte Anne steht für die (ihre) Schönheit, Reinheit, Verletzlichkeit und Hilflosigkeit, hat nun wirklich nichts mit Sexismus zu tun!

  • Mit Hallimasch hat alles angefangen, mit Otto Jägersberg schließt sich der Kreis:


    Im "Cotta's kulinarischer Almanach 1999/2000" veröffentlichte der Schiftsteller und Filmemacher Otto Jägersberg einen Beitrag unter der Überschrift:


    "Hut des Jahres: Der Honniggelbe Hallimasch".


    Der "Klett-Cotta Verlag" stellte nach einigen Wochen einen von mir gewünschten Kontakt zu Otto Jägersberg her, ich wolle gerne seinen Artikel im Forum mit seinem Einverständnis veröffentlichen zu meinem Beitrag "Kunst und Pilze". Herr Jägersberg nahm Kontakt mit mir auf und er bat um Zusendung der bewußten Bilder. Nach Erhalt der Aufnahmen stimmte er ausdrücklich zu, ich könne seinen Artikel veröffentlichen mit dem Copyright-Vermerk:


    1.


    1fcu5j.jpg


    2.


    226uu3.jpg


    3.


    35zu57.jpg


    4.


    40eu02.jpg


    5.


    541urm.jpg


    ©by Otto Jägersberg


    vg, Bernhard

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Bernhard!


    Eine sehr schöne Parabel.
    Brutal, ehrlich und - wenn man es mal ein bisschen weiter spinnt - aktuell.
    Schweift man als nachdenklicher Leser ab, findet um sich herum viele "Annes", bedroht vom Hallimasch der ungezügelten Finanzmärkte womöglich?
    Hat sich so viel geändert seit 1666? Oder vielleicht nur die äußere Erscheinung: Der Hallimasch trägt einen anderen, hübsch glänzenden Hut.


    Irgendwie bin ich jetzt nachdenklich.


    Danke für das Thema,
    Beorn.