Hallo,
letzthin machte ich auf dem Weg ins Urlaubsquartier im Kaisergebirge einen Zwischenstopp und habe mich im Kaisertal zwischen den beiden Gebirgskämmen Wilder Kaiser und Zahmer Kaiser umgesehen.
Einige der für mich neuen Funde möchte ich hier zeigen und zur Diskussion stellen.
Da das Kaisergebirge in den Nördlichen Kalkalpen liegt, sind hier naturgemäß viele montane Arten, die basisches/kalkreiches Substrat bevorzugen, zu finden.
Bild 1 Am Kaisertalbach mit Brücke und Waldweg
Direkt am Parkplatz an einer großen Rotbuche schattigem Stamm etliche sterile Cetrelien.
Sie heben sich durch die weißen Pseudocyphellen auf der Thallusoberfläche von der Flechtennachbarschaft ab.
So früh an diesem regnerischen Morgen war es noch etwas dunkel, das Foto ist entsprechend schlecht.
Später kam die Sonne heraus und es wurde recht heiß.
Die weißen Flecken der Pseudocyphellen sind dennoch deutlich zu erkennen:
Bild 1 Cetrelia spec. mit weißen Pseudocyphellen, Bortensoralen und einer schwärzlichen, zum Rand hin braunen, runzeligen Unterseite mit nur wenigen Rhizinen.
Es gibt derer vier Cetrelien in Deutschland, die sich in ihren Flechtenstoffen unterscheiden und sich durch Tüpfeln in zwei Gruppen trennen.
Hier R-, damit vermutlich C. cetraroides oder C. monachorum.
Die zweite Gruppe, KC+rosa reagierend, wären C. olivetorum (C+) / C. chicitae (C-).
Laut Obermeyer & Mayrhofer (2007) dominiert in den Ostalpen C. monachorum mit > 50% der Funde.
Damit spräche die Statistik eher für C. monachorum. Es bleibt vorerst bei nur Cetrelia spec.
Auf dem schattigen Kalkfelsen direkt neben dem Wildbach waren diverse Krustenflechten vertreten.
Neben etlichen Thalli von G. jenensis auch calcicole Zeichenflechten.
Auffällig waren diese Krusten durch ihre rosa/orange Thallusfarbe und die knotigen Apothecien.
Sie besitzen 4-zelligen Sporen mit ungleich großen, eckigen Sporenfächern.
Das Hymenium ist hemiamyloid (J+rot), die Sporen messen um 26 x 9 µm.
Somit lassen sie sich als Opegrapha dolomiticola einordnen:
Bild 3 Opegrapha dolomiticola mit grauem, um die Apothecien orange-rosa Thallus und Trentepohlia als Algenpartner.
Apothecien schwarz, unförmig knotig, nur schwach verzweigend.
Cladonia symphicarpa konnte ich schon oft auf kalkreichem Boden finden, bisher jedoch immer ohne Podetien.
Hier liesen sich endlich auch Thalli mit Podetien beobachten:
Bild 4 Cladionia symphycarpa mit brüchigen, aufsteigenden Grundschuppen
Die Podetien der Cladonie sind mit 1cm Höhe relativ niedrig.
Sie sind im unteren Teil berindet und beschuppt, oben schollig aufbrechend und in Linien weißes Mark freilegend.
Die Apothecien sind braun und sitzen am Rand der Podetien, die in unförmigen, teils trichterartigen Bechern, teils stumpf-hornförmig enden.
Grundschuppen: K+gelb, Ränder stellenweise rot; Podetien-Cortex P+gelb; ebenfalls K+gelb und stellenweise rot.
An einem Kalkfelsen, direkt am Bach, wachsen orangefrüchtige Protoblastenia calva.
Der Thallus ist sehr dünn / entolithisch, aber deutlich gelblich gegen die Kalkoberfläche kontrastierend.
Die Gattung unterscheidet sich von Caloplaca i.w.S. durch einzellige Sporen und randlose Apothecien (um 1mm groß).
Die Flechtenart kommt in hochalpinen Lagen an schattig-feuchtem Vertikalflächen auf hartem Kalkgrund vor.
Bild 5 Protoblastenia calva: Apothecien K+ violett, Thallus gelblich, unscheinbar.
Apothecien randlos, orange, stark gewölbt. Apothecien treten manchmal geknäuelt auf.
Bild 6: Querschnitt in Form einer Scheibe von Protoblastenia calva in Wasser:
Hymenium und Hypothecium sind gelb.
Die gelbe Färbung ist auch im dünnen, gequetschten Zustand erhalten (Bildeinsatz)
Am gleichen Felsen wachsen Thalli einer vermutlich anderen Protoblastenia (Protoblastenia cf. lilacina) mit einheitlich dunklen, braunen Apothecien.
Der Thallus ist ebenfalls endolithisch, aber nicht so gelb wie bei P. calva, eher farblos bis cremefarben.
Die Flechte ist makroskopisch P. calva sehr ähnlich (zumal es bei P. calva auch dunklere, bräunlichere Apothecien gibt).
Unter dem Mikroskop zeigen sich aber Unterschiede.
Im Querschnitt unter Auflicht erkannt man ein braunes Hymenium mit einer intensiv gelb-orangen Bereifung, darunter ein deutlich violettes Hypothecium:
Bild 7 Eine weitere Protoblastenia: dicker Apothecien-Querschnitt in Wasser mit hell-violettem Hypothecium und gelb-oranger Bereifung.
Die Apothecien sind um ebenfalls bis 1mm groß und einheitlich braun.
Die Scheibenoberfläche ist in Aufsicht rau und bereift.
Die K+ rote Reaktion ist auf dem dunkeln Apothecium schwer erkennbar, aber eindeutig vorhanden.
Ein mehrere Meter hoher Kalkfelsen am Bachbettrand mit etwas überhängender Seitenfläche war mit schwarzfrüchtigen Krusten bewachsen.
Die Apothecien der Felchte haben einen hochstehenden Nabel in der Mitte.
Der scharze Rand ist mehrfach tief gekerbt und steht ähnlich hoch wie der Nabel.
Offenbar Sagiolechia protuberans, die typisch für derart schattig-feuchte Vertikalflächen auf Kalk in montaner Lage sein soll.
Die Gattung ist mir neu, wie auch die später folgenden Beispiele.
Bild 8 Kalksteinfels mit Sagiolechia
Bild 9 Scharze Apothecien mit endolithischem Thallus
Die Kratzprobe besteht nur aus Apothecien mit sehr wenig Thallus / Substrat:
Bild 10 Schwarze Apothecien mit mehrfach tief gekerbtem Rand und nabelartig gewölbter Mitte.
Bildeinsatz: Querschnitt durch Apothecium in Wasser.
Das Hymenium reagiert J+ blau in verdünntem Lugol.
In den Substratresten unter und neben den Apothecien sind einige orange Algenzellen (Trentepohlia) erkennbar.
Die Sporen sind gestreckt ellipsoid, 19-22 x 7,5-9.65 µm groß, hyalin mit Halo und reif querseptiert-vierzellig:
Bild 11 Hymenium und Sporen eingefärbt in Lactophenol-Anilinblau.
Eine hübsche, pyrenocarpe Flechte mit dünnem, braunem Thallus und schwarzem Prothallus, in der ich Thelidium pyrenophorum vermute.
Eine montane bis alpine Flechte, die in kühlen, luftfeuchten Tälern auf Kalk- und Dolomit-Vertikal- und Schrägflächen vorkommt.
Hier an Kalk-Vertikalfläche wachsend, wiederum in unmittelbarer Bachnähe:
Bild 12a Kleine braune Thalli mit schwarzbraunen, etwas eingesenkten Perithecien.
Bild 12b Weitere Thalli, links Kratzprobe entnommen (Strich grün)
Thelidium ähnelt Verrucaria-Arten, besitzt aber querseptierte Sporen:
Bild 13 Kratzprobe in Wasser, Perithecien mit heller Öffnung nach oben;
Bildeinsätze: Spore in Lugol gefärbt (l.o.);
Zwei Asci, 8-sporig, Hymenium rot durch Lugol (l.u.);
Querschnitt durch Perithecium in Wasser (r.o.):
Involucrellum ist schwarz und dick, das obere Drittel oder bis zur Hälfte des Peritheciums bedeckend, tiefer vom Excipulum etwas abspreizend.
Excipulum rundum dunkel (r.o.);
Hemiamyloides Hymenium mit Lugol rot reagierend, weiter innnen durch geringe Jodkonzentration Farbgradient orange-gelb-grün nach blau (r.m.)
Aus der letzten, winzigen Gallertflechten bin ich nicht abschließend schlau geworden.
Apothecien konnte ich leider nicht finden.
Recht gut zum Fund passt aber trotzdem Peccania coralloides.
Die Flechten wurde an einer Kalkwand direkt neben dem Weg gefunden.
Bild 14 Regengeschützte Kalkwand mit Gallerflechten
Bild 15 Winzige, kleinstrauchige Blattflechten mit koralloiden Auswüchsen am Thallusrand.
Die Rosetten sind nur 3-4 mm groß.
Bild 16 Ein flaches Läppchen in trockenem Zustand mit koralloiden Auswüchsen
Bild 17 In Wasser quillt der Thallus kräftig und färbt sich gelb-grün.
Die Auswüchse bekommen dicke, kugelige Enden.
Die dünnen Ästchen (um 200 µm) sind mehrfach verzweigt.
Die Thallusenden sind tendentiell grünlich, weiter hinten intensiv gelb.
Bild 18 Gelb-grüne Thallusfragmente in Wasser, Nostoc liegt im Gallert in Ketten vor
Peccania coralloides wächst kleinstrauchig und entwickelt kugelig verdickte Enden, quillt gallertig auf.
Die Flechte kommt auf sickerfeuchten Kalksteinflächen, in montanen bis alpinen Lagen vor.
Synalissa ramulosa ist ökologisch ähnlich, hätte aber z.B. violette Cyanobakterien am Thallusrand und scheidet aus.
Über Korrekturen freue ich mich immer am meisten (sonst lernt man nix)!
Toll, was man in den Alpen in kürzester Zeit alles an interessantem Neuen finden kann.
LG, Martin